Texte/Drehbücher Till Bender

Der Trompeter

Die Filmproduktion sucht für die Umsetzung des Spielfilm-Projekts „Der Trompeter“ einen Szenenbildner. Engagiert wird, wer die überzeugendsten Entwürfe für die erste Filmminute vorlegt. Diese 60 Sekunden sollen mittels einer ruhigen Kamerafahrt durch das Arbeitszimmer des Trompeters einen Großteil der Backstory erzählen, und zwar ausschließlich mit szenenbildnerischen bzw. filmarchitektonischen Mitteln. Das Publikum soll folgendes erfahren:

Es ist Winter.

Der Film spielt in der Gegenwart.

Der Trompeter wohnt in München.

Er ist gerade dreißig geworden.

Schon als kleiner Junge war er ein Star der volkstümlichen Musikwelt. Er entzückte sein Publikum in zahlreichen Fernsehshows und mit erfolgreichen CDs. Für etwa fünfzehn Jahre war er einer der Lieblinge der Szene – der Traum-Enkel bzw, -Sohn bzw. -Schwiegersohn jedes wertekonservativen Ehepaars. Er räumte Preise ab, die ihm inzwischen nichts mehr bedeuten.

Vor fünf Jahren kam es in einer Samstag-Abend-Live-Show zu einem unerwarteten Eklat: Der Trompeter trat betrunken auf und pöbelte vulgär gegen die Verlogenheit der volkstümlichen Scheinwelt, bevor man ihm das Mikrofon abdrehen konnte. Das war das Ende seiner Karriere.
Heute hat er wenig Geld, spielt gelegentlich in Jazz-Clubs und unterrichtet zu Hause.

Er kifft und trinkt.

Sein Verhältnis zu seinen Eltern ist nicht gut.

Er ist im Begriff, mit einem langjährigen Freund zusammenzuziehen. Der ist Fußballprofi.

Bewirb dich um die Position, indem du:

1.: eine Grundstimmung benennst, die dir für die Eingangssequenz angemessen erscheint,

2.: darstellst, mit welchen szenenbildnerischen Mitteln du diese Stimmung bewirken willst (z.B.: Ein wenig verkleinerte Fenster und eine ein wenig zu niedrige Decke schaffen eine klaustrophobische Stimmung),

3.: Vorschläge formulierst, wie die einzelnen Informationen szenenbildnerisch bzw. filmarchitektonisch zu transportieren wären (z.B.: „Es ist Winter“: An den Garderobenhaken im Flur hängen Pudelmütze, Schal und ein wattierter Anorak),

4.: deine Formulierungen mit einem Moodboard unterstützt und illustrierst (mit einer solchen Collage aus eigenen Photos, kleinen Skizzen und Bildern aus dem Internet oder aus Zeitschriften kannst du deinem Gegenüber einen unmittelbareren, „intuitiveren“ Zugang zu deinem visuellen Konzept ermöglichen als allein durch Worte).

Der Wagen, Script 19.04.2020 Till Bender

AUTHOR’S NOTE
„Der Wagen“ ist ein etwa dreißigminütiger Episoden-Kurzfilm. Drei stark kontrastierende Geschichten werden von einer knappen Rahmenhandlung eingefasst: eine historische Sozialskizze, ein futurisierendes Drama und eine Erotik- Komödie.

Das gemeinsame Thema der drei Episoden – und damit das erzählerische Leitmotiv des gesamten Kurzfilms – ist die retrospektive Unzuverlässigkeit:
Niemand weiß genau, was wirklich war. Horst, Jens und Robert, die drei Erzählerfiguren, berichten ihre jeweilige viele Jahre zurückliegende Geschichte in der festen Überzeugung, genau zu wissen, was damals passiert ist. Allein der Zuschauer, der die Episoden so gezeigt bekommt, wie sie sich wirklich zugetragen haben, sieht, dass alle drei tatsächlich überhaupt keine Ahnung von den wahren Zusammenhängen haben; zum einen, weil sie sich nicht so genau erinnern, wie sie meinen, zum anderen, weil die entscheidenden Aspekte ihrer Geschichten damals komplett in ihrem „toten Winkel“ lagen. So wird aus einem aufrechten Bürger, der für Recht und Ordnung eintritt, ein vorurteilsbeladener, brutaler Chauvinist, aus ein paar Jungs und Mädchen, die idealtypisch selbstbestimmt spielen, eine Kinder-Gruppe, die die Unterscheidung zwischen freiem Spiel und systematischem Sadismus verpasst hat, und aus einem selbstzufriedenen Don Juan ein peinlicher, hormon-wirrer Trottel.
Bei der Realisierung des Scripts gilt es, diese „Hintergrund- Qualitäten“ zu berücksichtigen und auf jeder Gestaltungsebene angemessen umzusetzen.

DER WAGEN
(Kurzfilm-Script)
Autor: Till Bender

1. INNEN – EIN WOHNWAGEN – NACHT

2008. Um einen Tisch herum sitzen etwa zehn gutgelaunte Männer. Von dem Raum ist nicht viel zu sehen. Man lacht, trinkt, knabbert. Auf einer leergeräumten Fläche in der Mitte des Tisches steht ein kleiner Modellbauwagen. Eine Hand greift den Wagen und wirbelt ihn auf der Tischplatte herum – wie beim klassischen Flaschendrehen. Der Wagen bleibt stehen, die Deichsel weist auf HORST, einen kräftigen Rentner Anfang 70 mit freundlichem Gesicht.

HORST
Och nee! Nee komm, ich
kann so was nicht.
JEMAND AUS DER RUNDE
Nix, hier! „Kann nicht“
gibt’s nicht. Du hast
doch jahrelang auf’m
Bau geschafft. Da wird
dir ja wohl irgendwas
einfallen.
HORST
Na gut, – also klar, ’n
Bauwagen hatten wir
auch, war einer der
gemütlichsten Orte, die
man sich vorstellen
kann, für mich wie’n
zweites Wohnzimmer. Mal
sehen…, ich habe mal
einen Drogendealer aus
unserem Bauwagen und
von der Baustelle
verjagt. Ich hab‘ ja
nichts gegen Ausländer,
aber die sollen sich
hier auch nach unseren
Regeln verhalten. Das
seh‘ ich heute so, und
das habe ich damals so
gesehen. Ich weiß noch
genau, das war 1961,
höchstens ’62…

2. AUSSEN – EINE BAUSTELLE – TAG

1968. Wie eben die Deichsel des Modellbauwagens auf Horst gezeigt hat, weist jetzt die eines echten Bauwagens auf einer Baustelle auf eine Gruppe Bauarbeiter, die eben im Begriff sind, ein Abbruchhaus zu betreten, um sich an die Arbeit zu machen, darunter der hier 40 Jahre jüngere HORST. Zwei Männer gehen auf die Gruppe zu, einer trägt Gummistiefel und einen gelben Regenmantel über einem Anzug, der andere, ein hagerer Typ mit scharfen Gesichtszügen und schwarzen Augen, kommt in Bauarbeiterkluft, hat einen Beutel über der Schulter hängen.
Als sie die Gruppe erreichen…

BAUSTELLENLEITER
Moin. Ich bringe euch
hier euren neuen
Kollegen, Herrn … (er
schaut auf sein
Klemmbrett) A-di-güzel.
ADIGÜZEL…
schöner Name. Er ist
für ’ne Woche auf Probe
hier. Wenn’s ordentlich
mit ihm läuft, behalten
wir ihn da. Also sorgt
dafür, dass er sich
hier gut einarbeitet.
Alsdann.

Er klopft Adigüzel auf den Rücken und geht ab. Horst mustert Adigüzel von oben bis unten skeptisch/kritisch.

3. AUSSEN – BAUSTELLE – TAG

Adigüzel sammelt in einem Raum im Erdgeschoss des Abbruchhauses Schutt in eine Schiebkarre. Dann schiebt er die schwere Karre nach draußen und muss dabei eine schmale Planke überqueren, die über einen teilweise mit Wasser gefüllten Graben an der Häuserwand führt – eine halsbrecherische Angelegenheit.

4. INNEN – IM ABBRUCHHAUS – TAG

Horst schaut auf seine Uhr.

HORST
(brüllt durchs Haus)
Middach!

5. AUSSEN – VOR DEM BAUWAGEN – TAG

Die Männer steigen nacheinander die Stufen zum Bauwagen hoch, Adigüzel kommt als Letzter. Als er auf der obersten Stufe steht, stellt sich ihm Horst in den Weg.

HORST
Nee, Ali. Siehst du ja
selber: Der Wagen ist
voll – kein Platz mehr
frei, tut mir leid.

Horst schließt die Tür vor Adigüzels Nase. Der zeigt keine Regung. Ungerührt wendet er sich ab, blickt sich um und wandert dann zielstrebig in eine bestimmte Richtung.

6. AUSSEN – EINE MAUERECKE – TAG

Adigüzel macht es sich im Rahmen der Möglichkeiten bequem. Er entzündet ein Feuerchen, entnimmt seiner Tasche eine Thermosflasche, gießt sich einen Tee ein und setzt sich auf eine Europalette, einen rechtwinkligen Mauerrest im Rücken. Er nimmt einen großen Schluck Tee, schließt die Augen, schaut
dann ins Feuer, und als er wieder aufblickt, sieht er nicht länger die Baustelle, sondern…

7. AUSSEN – VOR EINER OSTANATOLISCHEN BAUERNHÜTTE – TAG

… einen postkartenreifen Ausblick. Adigüzel sitzt vor einem abbröckelnden Mäuerchen neben seiner Bauernhütte in Ostanatolien, ähnlich der Ecke auf der Baustelle, und schaut in die Flammen eines Feuerchens. Plötzlich hört er aus dem Haus ein Scheppern – etwas ist zu Boden gefallen und zersprungen. Er geht hinein.

8. INNEN – IN EINER OSTANATOLISCHEN BAUERNHÜTTE – TAG

In dem kärglichen, sauberen Raum steht eine FRAU an der Kochstelle, sie ist hochschwanger. Eine Schüssel liegt in Scherben zu ihren Füßen. Sie will sich eben danach bücken, aber Adigüzel eilt herbei, fasst sie am Arm, richtet sie auf und bedeutet ihr, sich zu setzen. Dann sammelt er seinerseits die Scherben auf und legt sie auf einen Tisch. Dort liegt ein geöffnetes Päckchen: in einem Karton ein mittlerweile ziemlich zerlesener Brief, ein paar Fotos und ein hässliches, profanes Stück klassischer deutscher 60er Jahre Kultur. Er nimmt es in die Hand, schüttelt leise den Kopf und wirft es verächtlich aus dem offenen Fenster. Dann greift er zum Brief und liest. Dazu gießt er sich ein Glas aus einer türkischen Teemaschine ein und trinkt. Dann nimmt er sich die schon etwas abgegriffenen Fotos vor. Sie zeigen einen Türken in Deutschland in verschiedenen Alltagskontexten: auf der Arbeit mit türkischen und deutschen Kollegen und an verschiedenen Stellen der Stadt, auf manchen winkt der Mann den Betrachter der Fotos zu sich heran. Das letzte Bild wurde in einem Wohnzimmer geknipst. Ein Tisch ist gedeckt, alle Stühle bis auf einen sind von den Mitgliedern einer türkischen Familie besetzt. Einladend deutet der Mann auf dem Foto auf den leeren Stuhl. Als Adigüzel die Bilder schließlich sinken lässt, bemerkt er, dass die Frau ihn aufmerksam beobachtet. Nach einem längeren Blickkontakt nickt sie ihm sehr mild und sehr ernst zu. Adigüzel atmet tief ein – bei einem weniger stoischen Menschen wäre ein Seufzer daraus geworden. Dann lächelt er auch ihr zu und nickt.

9. INNEN UND AUSSEN – DIE BAUSTELLE – TAG

Einige Tage vergehen, das Abbruchhaus wird weiter abgerissen, wir sehen Bilder von arbeitenden Männern, denselben, wie sie zu den Pausen den Bauwagen betreten, und Adigüzel, der in seiner Ecke pausiert.

10. INNEN – EIN RAUM IM ABBRUCHHAUS – TAG

Ein Arbeiter, GÜNTHER, hat eben eine fürchterlich staubige Arbeit erledigt. Er fischt hustend eine ungewöhnlich dicke, bei früherer Gelegenheit selbstgedrehte Zigarette aus einer Tasche, zündet sie an und will sich nun zwischendurch mit einem Schluck Bier den Staub aus der Kehle spülen. Die Flasche steht verschlossen in einer Ecke. Als er sie zu öffnen versucht, rutscht sie ihm weg und zerspringt auf dem Boden. Adigüzel arbeitet im selben Raum. Während sein Kollege vor sich hin flucht, holt er seine Thermosflasche aus seinem Beutel, gießt einen Becher voll und reicht ihn wortlos dem durstigen Günther. Der nimmt ihn zögernd an, nimmt einen Schluck und ist außerordentlich entzückt von der erquickenden Flüssigkeit. Er genießt Tee und Tabak zugleich und gleichermaßen.

GÜNTHER
(hingerissen) Wow!

In diesem Moment betritt Horst den Nachbarraum. Das „Wow“ seines Kollegen hat er noch aufgeschnappt. Nebenan ahnt man nichts von seiner Anwesenheit. Horst lauscht.

GÜNTHER (CONT’D)
Mann, Ali, was ist denn
das für Zeug? So was
ist bei uns nicht zu
kriegen…

Adigüzel geht auf die Fragen und das Lob nicht weiter ein.

ADIGÜZEL
Adigüzel.
GÜNTHER
Adi -…
ADIGÜZEL
-güzel.
GÜNTHER
Na wie auch immer. Ich
sag dir was, Ali: Wenn
du das hier verkaufen
würdest – da ist
bestimmt richtig Geld
mit zu machen.

Er nimmt noch einen Schluck, dazu einen Zug von seiner Zigarette und bläst den Rauch aus. Durch ein Loch im Mauerwerk sieht Horst nur die Qualmwolken.

GÜNTHER
Hervorragend!

Horst kaut auf seiner Unterlippe und schüttelt verbissen den Kopf.

11. AUSSEN – ADIGÜZELS PAUSENECKE – TAG

Der folgende Tag. Die Pause ist um, die Männer gehen wieder ans Werk, ihr Weg vom Bauwagen zum Abbruchhaus führt sie an Adigüzels Ecke vorbei. Als Günther ihn passiert, winkt Adigüzel ihn zu sich heran. Aus seiner Tasche holt er eine kleine Plastiktüte mit Teeblättern und überreicht sie seinem Kollegen als Geschenk. Günther versteht die freundliche Geste nicht ganz und greift zu seinem Portemonnaie. Im Moment der Übergabe tauchen plötzlich Horst und der Baustellenleiter hinter dem Mauerrest auf.

HORST
(höchst selbstzufrieden
zum Baustellenleiter)
Bitte, was hab‘ ich
Ihnen gesagt?!
BAUSTELLENLEITER
(zu Adigüzel) Tja. Ihre
Probezeit ist
abgelaufen, das muss
ich Ihnen ja wohl nicht
weiter erklären. Sie
können froh sein, dass
ich hier alles
gebrauchen kann außer
einer polizeilichen
Untersuchung, die uns
hier den ganzen Laden
aufhält. Ich mach‘ hier
nichts draus, aber
morgen will ich Sie
hier nicht mehr sehen.

Als Adigüzel ihn mit seiner gewohnten Reglosigkeit ansieht und nicht recht zu verstehen scheint…

BAUSTELLENLEITER
(CONT’D)
Arbeit hier vorbei.
(Adigüzel seine Tasche
in den Arm drückend)
Auf Wie-der-se-hen. (zu
Horst) Sie regeln den
Rest.

Der Baustellenleiter geht ab. Horst nimmt Günther die Tüte aus der Hand.

HORST
(zu Günther) Das
verdankst du nur mir!
Das ist nie passiert.

Horst wirft die Tüte in Adigüzels Feuer.

GÜNTHER
Aber was soll das denn,
das ist doch bloß
ein…
HORST
(Günther den
ausgestreckten
Zeigefinger bedrohlich
vors Gesicht haltend)
Kein Wort! Ich will
nichts hören. Wenn dir
deine Arbeit hier lieb
ist, ist das nie
passiert.

Horst baut sich vor Adigüzel auf – eine Machtprobe, die Horst schon längst gewonnen hat. Adigüzel nimmt seinen Beutel und geht.

12. AUSSEN – BEIM BAUWAGEN – TAG

Adigüzel kommt an dem Bauwagen vorbei, und als er ihn einige Schritte hinter sich gelassen hat, hält er inne, blickt auf, wendet sich um, ist im Begriff, noch einmal zurückzugehen, da öffnet sich vor ihm von selbst die nicht ganz eingeklinkte Bauwagentür. Adigüzel blickt in einen schmutzigen, kalten, ganz und gar abstoßenden Raum. Adigüzel wirft einen letzten Blick auf die Rücken seiner das Abbruchhaus betretenden Kollegen und verlässt die Baustelle durch eine Lücke im Bretterzaun. Zu den Beifall bekundenden Lauten der feiernden Runde wirbelt der Bauwagen herum…

13. INNEN – EIN WOHNWAGEN – NACHT

…als er zum Stehen kommt, weist die Modellwagen-Deichsel auf JENS.

JENS
Okay, ich bin dran. Ich
hab‘ auch eine. Ist
nicht so ’ne
Heldengeschichte wie
die von Horst, aber
Helden kommen auch drin
vor. Hat allerdings
kein schönes Ende –
wenn ihr das
abkönnt…?
JEMAND AUS DER RUNDE
Klar, muss doch nicht
immer alles ’n Happy
End haben!
JENS
Na gut, das war in
irgendwelchen
Sommerferien Anfang der
80er. Alle Kinder aus
der Nachbarschaft waren
von morgens bis abends
auf dem
Abenteuerspielplatz in
unserem Viertel
unterwegs. Wenigstens
sahen die Erwachsenen
da einen
Abenteuerspielplatz. In
Wirklichkeit war das
aber – Asteroid Blue,
der letzte noch
verbliebene
Verteidigungsposten
unserer Heimatwelt,
irgendwo zwischen Mars
und Jupiter, in der
eisigen Nacht des Alls.
Asteroid Blue war
alles, was noch
zwischen der Erde und
der übermächtigen
Invasionsarmee der
Außerirdischen stand –
aber an uns mussten sie
noch vorbei…

14. AUSSEN – EINE MILITÄRSCHANZE AUF ASTEROID BLUE – TAG

1985. Eine Gruppe von 15 etwa 10jährigen Weltraumsoldaten beiderlei Geschlechts liegt in der Deckung, zu sehen in der gedachten Verlängerung einer deichselähnlichen Struktur vor einem kleinen, mobilen Raumschiff, das entfernt an einen Bauwagen erinnert. Sie sind mit allerhand schweren futuristischen Waffen ausgerüstet. Vom Dach eines Wachturms aus beobachtet Soldat MAX das Geschehen.

CAPTAIN
(zu seinen Kameraden)
Sie sind irgendwo
dahinten. Ich kann sie
riechen. Macht euch
bereit, Männer, das
kann hässlich werden.
Da! Mein Gott, ist das
ein ekelhaftes Monster.
Seht mal, es hat nur
ein Auge – das muss ihr
Anführer sein. Alles
feuert auf mein
Kommando… FEUER!

15. AUSSEN – EIN ABENTEUERSPIELPLATZ – TAG

Mitten im Sand steht, einsam und verloren, der kleine CLEMENS. Er trägt eine therapeutische Brille, das linke Glas ist mattiert. Jetzt wird er zur Zielscheibe unzähliger bunter Plastikflugzeuge, die von den Kindern aus der Deckung und vom Turm aus mit Gummiband-Katapulten auf ihn abgeschossen werden. Der junge JENS schießt, sein Flugzeug-Geschoss beschreibt einen perfekten Looping und trifft den Schützen am Hinterkopf.

JENS
Au! Mann, ey!
CAPTAIN
Lieutenant Chance hat
es erwischt, wir
brauchen schwereres
Geschütz!

Ein MÄDCHEN schnappt sich einen bereitliegenden Frisbee, zielt und trifft Clemens mitten auf die Brille. Sie fällt in den Sand. Er bückt sich danach, das Scharnier eines Bügels ist völlig verbogen.

CAPTAIN (CONT’D)
Wir haben ihn. ANGRIFF!

Die Kinder stürmen auf den Jungen los und werfen sich auf ihn. Als sich alle wieder aufgerappelt haben, wird Clemens an Armen und Beinen von je zwei Kindern festgehalten.

CAPTAIN (CONT’D)
Abführen zur Befragung!

Des Captains Armbanduhr piepst. Er stellt den Alarm ab.

CAPTAIN (CONT’D)
(bedauernd) Ich muss
nach Hause, Leute. Das
gibt sonst wieder
Anmecker.
ALLE
(in Varianten) Dann bis
morgen.

Sie sind dabei, sich zu zerstreuen.

CLEMENS
(ängstlich piepsig)
Darf ich morgen wieder
mitmachen?
CAPTAIN
Klar. Morgen wirst du
verhört. Wir müssen
doch alles über eure
Pläne erfahren.

16. AUSSEN – VOR CLEMENS‘ ZUHAUSE – TAG

Clemens überquert die Straße, sieht nach oben und entdeckt seine MUTTER hinter dem Küchenfenster. Er winkt hinauf. Die Mutter schaut hinaus, erwidert den Gruß aber nicht. Stattdessen tippt sie sich hektisch mit dem rechten Zeigefinger auf das hochgehaltene linke Handgelenk.

17. INNEN – FLUR UND KÜCHE IN CLEMENS‘ ZUHAUSE – TAG

Clemens versucht, sich an der kleinbürgerlichen Küche vorbei zu stehlen. Seine Mutter erspäht ihn aus dem Augenwinkel.

MUTTER
Clemens, komm mal her.

Clemens betritt die Küche. Er hofft, den Schaden an der Brille auf seiner Nase verbergen zu können, indem er sie an dem kaputten Scharnier festhält. Auf seinem Gesicht sind die Spuren einiger Geschosse zu sehen.

MUTTER
(ihm die Brille
abnehmend) Was ist das?
Kannst du mir das bitte
mal erklären?
CLEMENS
(hektisch) Da kann ich
nichts für. Das waren
die anderen, auf’m
Spielplatz. Die haben
mir ’n Frisbee ins
Gesicht geworfen.
MUTTER
(wütend) Die anderen,
die anderen, immer sind
es die anderen. Weißt
du eigentlich, was die
gekostet hat? Die ist
extra für dich gemacht
worden. Das ist doch
eine Schande! Kannst du
nicht ein bisschen
aufpassen beim
Spielen?!
CLEMENS
Aber die haben genau
auf mich gezielt.
MUTTER
Ach das ist doch alles
Unsinn! Warte mal, wenn
dein Vater nach Hause
kommt…
CLEMENS
Aber Mama, was soll ich
denn da machen?! Die
haben das voll mit
Absicht gemacht!
MUTTER
Kinder machen so was
nicht mit Absicht. Das
gibt’s doch gar nicht.
Und wenn, ja, dann
musst du dich auch mal
ein bisschen wehren.
Respektiert wird man
nur, wenn man sich
nicht alles gefallen
lässt. Zeig denen mal,
dass die nicht alles
mit dir machen können
– falls du das kannst.
Und jetzt mach, dass du
in dein Zimmer kommst.
Mal sehen, was nachher
dein Vater zu deiner
Brille sagt!

18. INNNEN – CLEMENS‘ KINDERZIMMER – TAG

Clemens wirft sich aufs Bett. An der Wand hängen Poster von Actionhelden, die wissen, wie man sich wehrt.

19. AUSSEN – ABENTEUERSPIELPLATZ – TAG

Drei Kinderköpfe und Oberkörper sind zu sehen. In sonderbarer Weise stehen ihnen die Haare zu Berge. Links der Captain, rechts Jens, in der Mitte Clemens, den Brillenbügel mit Hansaplast provisorisch geflickt.

CAPTAIN
Wieviele Schiffe habt
ihr?

Clemens schweigt und wird daraufhin mit einem Stock gepiekst.

CAPTAIN (CONT’D)
Wo sind sie?
Schweigen. Der Stock wird jetzt als Peitsche eingesetzt.

CAPTAIN (CONT’D)
Was weißt du über
unsere
Verteidigungsstrategie?
Schärfere Peitschenhiebe.
Clemens presst die Lippen zusammen.
Des Captains Uhr piepst.

CAPTAIN (CONT’D)
Der Gefangene will
nicht reden…

Jetzt ist zu sehen, dass die drei Kinder kopfunter an einem Klettergerüst hängen, das auch als Tragfläche des Bauwagen- Raumschiffs fungiert. Der Captain und Jens haben sich mit den Füßen im Gerüst eingehakt, schwingen sich nun in einer eleganten, absolut synchronen Schleuderdrehung herunter und landen mit den Füßen im Sand. Erst jetzt sehen wir, dass Clemens‘ Fußknöchel in zwei Seilschlingen hängen.

CAPTAIN (CONT’D)
Keine Sorge, Leute,
morgen werden wir alles
erfahren, was wir zur
Rettung der Erde wissen
müssen. Kann mir nicht
vorstellen, dass es
diesen abartigen Wesen
gefällt, wenn man ihre
Fußsohlen ankokelt…

Die Kinder verlassen den Spielplatz. Clemens bleibt hängen. Er strampelt verzeifelt, um seine Fesseln loszuwerden. Schließlich gelingt es ihm, die Schlingen von seinen Füßen abzustreifen, und er fällt einen halben Meter tief zu Boden. Seine Hände stecken tief im Spielplatzsand. Als er sie herauszieht, hält er etwas in seiner geschlossenen Faust. Er öffnet die Hand – ein Springmesser liegt darin, dreckig und ziemlich vergammelt, aber als er den Federmechanismus bedient, springt die hässliche rostige Klinge einwandfrei heraus. Clemens sieht sich um, betrachtet die Orte seiner täglichen Demütigungen und lässt das Messer langsam und überlegt in seine Gesäßtasche gleiten.

20. AUSSEN – SPIELPLATZ – TAG

Die Kinder stehen im Spielplatzsand und sehen sich ratlos um.

JENS
Wo isser denn bloß. Ob
er heute nicht raus
darf?

Der Captain zuckt mit den Achseln. Da gleitet Clemens lautlos aus dem den Spielplatz umgebenden Gebüsch, nur einen halben Schritt weit, und steht reglos im Schatten. Er sieht anders aus als an der beiden vorangegangenen Tagen, nicht mehr so ängstlich, um einige Grade kühler. Es dauert etwas, bis das Frisbee Mädchen ihn schließlich entdeckt. Niemand bemerkt Clemens‘ subtile Wandlung.

CAPTAIN
(zufrieden grimmig) Da
ist das Biest. Seine
Tarnvorrichtung hat
versagt. Geht auf eure
Posten. Den hol‘ ich
mir selbst.

Der Captain geht entschlossenen Schrittes auf Clemens zu. Auf dem Dach seines Turmes steht Max und beobachtet die Szenerie. Auf Clemens‘ Gesäßtasche zeichnet sich der Umriss des Springmessers ab. Clemens hat die Hände hinter dem Rücken ineinander gelegt. Jetzt lässt er eine Hand in die Tasche gleiten und zieht das Messer heraus. Immer noch hinter dem Rücken verborgen lässt er es aufspringen. Der Captain steht nun nur noch einen halben Schritt vor ihm. Er schaut auf den deutlich kleineren Jungen herab, hält ihm ein Feuerzeug vor das Gesicht und reißt die Flamme an.

CAPTAIN
Wir haben einige
Fragen. Zeit zu
reden… – Alien.

Die anderen Kinder verharren in ihrer Deckung. Angespannte Gesichter. Plötzlich zerreißt ein Schrei die Stille. Im Sand liegt Max, sein rechtes Bein ist in einem absurden Winkel verdreht, und er windet sich im Sand vor Schmerz. Der Captain schnellt herum, eilt hinzu und erfasst sofort die Lage.

CAPTAIN
Scheiße, das ist
gebrochen. Kommt, fasst
mal alle mit an. Wir
bringen ihn in den
Wagen – ganz
vorsichtig. Jens, lauf
da vorne zur
Telefonzelle und ruf’n
Krankenwagen. (zu Max)
Das wird wieder, halt
durch!

21. AUSSEN UND INNEN – BEIM BAUWAGEN – TAG

Alle Kinder kümmern sich um den Verunfallten. Clemens steht vor der Wagentür und schaut mit regloser Miene in den Wagen hinein. Niemand sieht, wie er langsam das Messer zuklappt und in seine Hosentasche steckt. Zu den Bildern von Kindern, die versuchen, den verletzten Max zu trösten, hören wir den alten Jens aus dem Wohnwagen zu der launigen Runde sprechen.

JENS (V.O.)
Tja. So war das damals.
Der Vater von Max war
irgendwas Hohes bei der
Stadtverwaltung, und
der hat da ’n großen
Skandal draus gemacht.
Sicherheitsvorschriften
und Pipapo. Paar Tage
später haben die den
Spielplatz
plattgemacht. Aber ich
sage, wenn Kinder
spielen, passiert so
was schon mal.
Schlimmerweise. Aber
heute hängen doch auf
jedem Spielplatz immer
’ne Horde Pädagogen
rum, und da spielen die
Kids doch nur noch wie
in Watte gepackt. Da
frage ich euch jetzt:
Ist das nun heute
besser oder was?
JEMAND AUS DER RUNDE
(V.O.)
Gute Frage. Das
besprechen wir aber ’n
anderes Mal.

Der Wagen wirbelt herum. Als er zum Stehen kommt, weist die Deichsel des Modell-Bauwagens auf ROBERT.

22. INNEN – IM WOHNWAGEN – NACHT

ROBERT
(leicht angeheitert) Na
also, ich habe mich
schon gefragt, wann ich
endlich an der Reihe
bin. Passt auf, hier
kommt ein kleines
erotisches Abenteuer,
das ich gehabt zu haben
das Vergnügen hatte.
Habe… zu haben
hatte… Also alles
raus hier, was unter 18
ist. Unsere Nachbarn
hatten damals einen
Bauwagen hinterm Haus
stehen gehabt, den sie
zur Gartenlaube
ausgebaut hatten…

23. AUSSEN – ROBERTS NACHBARGRUNDSTÜCK – TAG

ROBERT (CONT’D, V.O.)
… überdachte Terrasse
davor, kleine
Grundwasserpumpe, alles
echt schick. Konnte man
richtig drin wohnen.
Und wurde auch drin
gewohnt, übers
Wochenende manchmal,
wenn die Leute Besuch
hatten, so quasi als
ausgelagertes
Gästezimmer… ja, und
dann wohnte da mal –
für drei Monate oder so
– MONIKA. Eine Nichte
von den Nachbarn. Für
ein Praktikum in der
Stadt. Dreiundzwanzig.
Und die ganze Zeit, wo
sie da war, immer wenn
wir uns zufällig auf
der Straße vor dem Haus
oder am Zaun begegnet
sind, hat es zwischen
uns geknistert.

2001. Während Robert das im Wohnwagen erzählt, sehen wir den modifizierten Bauwagen in einem großzügigen Garten. Die Häuser in der Nachbarschaft und auch der Bauwagen stehen deutlich über Rufweite voneinander entfernt. Die Tür wird von innen geöffnet. Monika tritt in die Morgensonne hinaus, barfuß, in einer knielangen bequemen Hose und im T-Shirt. Nach ein paar Schritten steht sie mitten auf dem Rasen und macht sich an ein paar Dehnungsübungen – im Stehen, im Sitzen, im Liegen. Die Deichsel der Bauwagen-Laube weist auf das Gebüsch am Grundstücksrand – so scheint es zunächst. Doch in der Verlängerung dieser gedachten Linie zeigt sie genau nach nebenan, auf das Fenster von Roberts Arbeitszimmer. Dort steht Robert, unnötigerweise halb hinter der Gardine verborgen, und beobachtet Monika durch ein Fernglas.

24. INNEN – ROBERTS ARBEITSZIMMER – TAG

Robert späht. Hinter sich hört er ein Geräusch. Seine Frau ULRIKE steht im Flur mit einem Eimerchen in der Hand. Robert kann seinen Schreck halb verbergen, setzt schnell das Fernglas ab.

ULRIKE
Was guckst du denn da?
ROBERT
(das Glas wieder vor
den Augen)
Eichhörnchen. Wir haben
Eichhörnchen im Garten.
Biester. Fressen die
ganzen Tannenzapfen
weg.

Er dreht sich zu ihr um.

ROBERT (CONT’D)
Was machst du?
ULRIKE
Bring den Kompost raus.
ROBERT
Lass mal. Ich mach das.
ULRIKE
Aber…

Er nimmt ihr den Eimer mit Küchenabfällen ab, Ulrike lässt es geschehen wie jemand, der sich längst daran gewöhnt hat, dass Widerstand zwecklos ist. Robert geht durch die Küchentür in den Garten hinaus zum Komposthaufen am Zaun.

25. AUSSEN – BEIM KOMPOSTHAUFEN – TAG

ROBERT
(ruft Monika an)
Morgen!
MONIKA
(Winkt ihm zu)
Morgen!

Dann setzt sie ihre Übungen fort.

ROBERT
(auf den Eimer zeigend)
Kompost! Ist gut für
den Garten.
MONIKA
Sicher.
ROBERT
Meine Gurken:…

Mit dem Henkel über dem Handgelenk hält er die Hände einen halben Meter weit auseinander, um die Gurkenlänge anzudeuten. Monika lacht und hält scherzend ihre Hände einen guten Meter auseinander.

MONIKA
Ich muss mich fertig
machen.

Sie winkt nochmals und verschwindet im Wagen. Robert geht wieder ins Haus und murmelt vor sich hin.

ROBERT
Mannmannmannmannmann.

26. AUSSEN – CARPORT AN ROBERTS HAUS – TAG

Robert kommt aus dem Haus, einen Mantel über dem Arm, in der Hand eine Aktenmappe, drei Schritte hinter ihm Ulrike. Sie trägt eine kleine Reisetasche. Robert öffnet den Kofferraum seines imposanten Wagens, dann die Fahrertür und wirft Mantel und Mappe auf den Beifahrersitz. Seine Frau hebt die Tasche in den Kofferraum.

ROBERT
Dann bis übermorgen.

Er gibt Ulrike einen flüchtigen Kuss. Hinter dem Zaun steht Monika, die gerade zwei Kürbisse geerntet hat.

MONIKA
Hey, Nachbarn.

Sie winkt die beiden heran. Die beiden grüßen zurück und gehen zu ihr an den Zaun.

27. AUSSEN – AM ZAUN – TAG

MONIKA (CONT’D)
Schön, dass wir uns
noch mal sehen. Ich
wollte mich nur noch
verabschieden. Heute
ist mein letzter Tag
hier. Ich hatte mich
doch für die Stelle in
New York beworben… –
was soll ich sagen –
die wollen mich haben!
ROBERT
(leicht unangenehm
überrascht)
Oh wie schön, also, da
sag ich Glückwunsch,
äh, alles Gute. Hoffe,
man sieht sich mal
wieder.
MONIKA
Sicher.

Ein kurzer Moment der Verlegenheit. Monika hält die beiden Kürbisse vor der Brust im Arm. Robert langt über den Zaun und legt Monika zum Abschied die Hand auf dem Arm.

ROBERT
Viel Glück.

Als er die Hand zurückzieht, lässt er sie sanft über einen Kürbis gleiten. Ulrike schaut ein bisschen unglücklich, blickt zu Boden.

28. AUSSEN – AUF DER AUTOBAHN – TAG

Robert sitzt hinterm Steuer.

ROBERT
Jungejungejungejunge.

Da klingelt sein Handy und reißt ihn aus seinen Träumen. Er nimmt das Gespräch an.

ROBERT (CONT’D)
Baumann. — Ja sicher,
bin unterwegs zum
Flughafen. — Ach je.
Und jetzt?

29. AUSSEN – DER CARPORT – TAG

Robert steigt aus dem Wagen und geht mit Mantel, Mappe und Tasche ins Haus.

30. INNEN – HAUSFLUR – TAG

ROBERT
(ruft durchs Haus) Bin
wieder da. — Hallo?

Keine Antwort. Er lässt sein Gepäck im Flur stehen, holt sich eine Computerzeitschrift und den Sportteil der Tageszeitung aus dem Wohnzimmer und verschwindet damit auf dem Klo.

31. INNEN – KÜCHE – TAG

Robert kommt herein, um Zeitung und Zeitschrift auf den Altpapierstapel auf der Fensterbank zu legen. Das Fenster ist ein Stück weit geöffnet. Auf dem Stapel liegt ein Blatt Papier. Ungläubig nimmt Robert es in die Hand: „Letzte Nacht, letzte Gelegenheit. Im Wagen. M“, darunter ein Lippenstift- Kussmund. Mit einem Hormonschock im Blut klatscht Robert das Blatt mit der beschriebenen Seite nach unten auf den Altpapierstapel. Er blickt auf, und durchs Fenster sieht er, wie sich drüben gerade die Bauwagen-Lauben-Tür schließt.

32. INNEN – VERSCHIEDENE RÄUME IN ROBERTS HAUS – TAG

Robert wandert wie ferngesteuert durchs Haus. Immer wieder schüttelt er den Kopf, legt er die Hand auf den Mund und fährt sich nervös durchs Haar. Schließlich steht er wieder im Flur vor der Küchentür.

33. INNEN – KÜCHE – TAG

Die Tür zum Garten geht auf, Ulrike kommt in Arbeitsklamotten
herein. Beide erschrecken.

ULRIKE
Robert, was machst du
denn hier?

Robert wird es heiß. Ulrike steht unmittelbar neben dem Papierstapel, auf dem noch immer der Brief liegt, aber wenigstens verkehrt herum.

ROBERT
Die haben das Meeting
abgesagt. Ist jemand
krank geworden. Jetzt
habe ich heute frei.
ULRIKE
Schön…
Sie sieht Zeitschrift und Zeitung auf dem Tisch liegen.
ULRIKE
Liest du die noch?
ROBERT
Nee, hab ich durch, gib
mal her.

Er macht zwei Schritte vorwärts, aber Ulrike hat sie schon in der Hand und legt sie oben auf den Altpapierstapel. Sofort hat Robert eine Schublade geöffnet und hält einen Rolle Bindfaden in der Hand. Gemeinsamen verschnüren sie den Stapel zu einem Paket. Daumen drauf, Knoten festziehen, Schere dran, fertig.

ROBERT
Lass mal, ich bring’s
raus.

34. AUSSEN – ZWISCHEN HAUS UND STRASSE – TAG

Robert trägt das Paket nach draußen und legt es auf den Bürgersteig. Vor den Nachbarhäusern liegen schon mehrere Altpapierbündel zur Abholung bereit. Erleichtert atmet Robert tief ein.

35. INNEN – KÜCHE – TAG

Robert kommt wieder herein. Seine Frau räumt in der Küche auf. Er sieht sie lange an.

ROBERT
Du siehst müde aus. —
Wann hast du dich
eigentlich das letzte
Mal so richtig
verwöhnen lassen?
ULRIKE
Ach komm, lass das.
ROBERT
Ich mein’s ernst. Hat
dein Spa nicht
Mittwochs dieses
Abendprogramm-Angebots-
Ding?
ULRIKE
Ja, schon.
ROBERT
Also, das passt doch
bestens. Da gehst du
heute hin.

Er tritt auf sie zu und umfasst ihre Oberarme.

ROBERT (CONT’D)
Das hast du dir
wirklich mal verdient.

Ulrike lächelt. So freundlich und fürsorglich hat sie ihren Mann schon lange nicht mehr erlebt.

ULRIKE
Wenn du meinst…
ROBERT
Unbedingt. Und lass dir
ja nicht einfallen,
irgendwas auszulassen.
Ich will dich hier vor
11 nicht wieder sehen.
ULRIKE
(nickend) Okay.
ROBERT
Na wunderbar, und ich
werde heute mal richtig
früh zu Bett gehen. Die
letzte Woche hat mich
total geschlaucht;
dieser freie Tag ist
ein echtes Geschenk…

36. AUSSEN – VOR DER BAUWAGEN-LAUBE – NACHT

Aus dem Bauwagen dringt ganz leise Musik. Robert hat eine volle Flasche Wein in der Hand, geöffnet, dann den Korken zur Hälfte wieder in den Hals geschoben. Er klopft.

MONIKA
(von drinnen, gedämpft)
Hallo?
ROBERT
(halblaut) Ich bin’s,
Robert.
MONIKA
Augenblick.

Sekunden später schlüpft Monika durch die Tür nach draußen und schaut sich scheu um. Sie trägt ein kariertes Oberhemd, dünn, kaum zugeknöpft und lang bis zur Mitte ihrer nackten Oberschenkel. Drinnen flackert eine Kerze. Robert atmet Parfüm-Duft. Ihm schwinden fast die Sinne.

ROBERT
(mit trockenem Mund)
Letzte Nacht, letzte
Gelegenheit. Er hält
die Flasche hoch.
MONIKA
(haucht ein langes
tonloses) Jaaahh.

Sie sieht sich nochmals ängstlich um.

ROBERT
Keine Sorge, meine Frau
ist ausgegangen. Komm.

Er hat schon einen Fuß im Wagen, da fasst ihn Monika am Arm.

MONIKA
Warte mal.
ROBERT
(unruhig) Was denn?
MONIKA
(atmet tief ein) Ich
weiß nicht, ist ganz
schön verboten, was wir
da vorhaben,
eigentlich, oder?
ROBERT
Ach was. Wer in einem
Bauwagen wohnt, dem
wird doch dieser
Moralscheiß nicht im
Weg stehen.
MONIKA
(beißt sich auf die
Unterlippe, zögert)
Stimmt. — Ich muss
dir was gestehen…
seit ich dich zum
ersten Mal gesehen
habe, träume ich davon,
es mit dir zu machen –
und zwar hier draußen,
unter den Sternen.

Robert schluckt. Monika nimmt ihm die Flasche ab und stellt sie auf den Boden. Dann öffnet sie mit einem entschlossenen Ruck den Reißverschluss an Roberts Hose, hakt ihren Finger in die Öffnung und zieht Robert aus dem Licht, das durchs Fenster nach draußen auf die Terrasse fällt. Als sie an der fernen Ecke der Bauwagen-Laube angekommen sind, lehnt sie sich gegen die Wand. Robert küsst sie gierig und greift nach allem, was er erreichen kann. Eine kraftvolle flamencoartige Drehung von Monika, und mit einem Schwung verschwinden die beiden hinter der Ecke. Zu sehen ist nun nur noch Roberts komplette, stocksteif aufrecht stehende, leicht schwankende Rückseite, zu hören sind von ihm halb entzückte, halb wehleidige Laute. Und sehr bald ein sehr tiefer Seufzer. Dann wieder ein Reißverschluss-Ratschen. Monika kommt um die Ecke. Sie hält ihre rechte Hand locker vom Körper weg wie jemand, der gerade eine sehr schmierige Fahrradkette angefasst hat.

MONIKA (CONT’D)
(zum unsichtbaren
Robert) Genauso hatte
ich mir das
vorgestellt. Danke
Robert, du bist toll.
Alles Gute.

Sie nimmt die Flasche auf, verschwindet damit im Wagen und schließt ganz sanft die Tür hinter sich. Robert versucht zu begreifen, was da eben über ihn hinweggerollt ist, während er etwas unsicher über den Rasen auf die Gartenpforte seiner Nachbarn zuschwebt.

ROBERT
Heijeijeijeijei.

37. INNEN – IN DER BAUWAGEN-LAUBE – NACHT

Monika steht mit geschlossenen Augen an die Tür gelehnt und bläst mit geblähten Backen einen langen Luftstrom aus. Als sie die Augen wieder öffnet, trifft ihr Blick den der aufrecht im Bett sitzenden nackten Ulrike, die sich in einer Mischung aus Fassungslosigkeit, Erleichterung und irritiertem Vergnügen die Hand vor den Mund legt. Monika zieht mit den Zähnen den Korken aus der Flasche in ihrer linken Hand, bläst ihn in hohem Bogen durch den Raum und nimmt einen tiefen Zug. Dann reicht sie Ulrike die Flasche und legt ihren ausgestreckten Zeigefinger an ihre Lippen.

MONIKA
(flüsternd) Und wenn du
das nächste Mal so
einen Brief kriegst –
nicht rumliegen lassen!

Während Ulrike nun auch die Flasche ansetzt, hören wir den stolzen Robert aus dem Bauwagen.

ROBERT (V.O.)
Ich bin ja keiner, der
dauernd Bestätigung
braucht, aber ich muss
schon sagen…, is‘
nicht schlecht, wenn
man mit Mitte vierzig
merkt, dass man noch so
’ne Wirkung auf Frauen
hat.

38. INNEN – DER WOHNWAGEN – TAG

JEMAND AUS DER RUNDE
Und Ulrike hat das nie
rausgekriegt…?
ROBERT
Affas.

Er leert sein Bierglas. Während er es wieder füllt…

JENS
(amüsiert) Für’n
Geheimnis hast du die
Geschichte jetzt aber
ganz schön unter die
Leute gebracht.

Im plötzlichen Schweigen der Runde fällt das jetzt auch Robert auf. Dadurch wird er etwas nüchterner.

ROBERT
Also, erstens ist das
schon mindestens fünf
oder, ach, zehn Jahre
her, und zweitens…
(eine lange Pause, dann
ein vermeintlicher
Geistesblitz)
…vielleicht isses ja
auch gar nicht wirklich
so passiert… – ich
hab‘ euch ’ne
Bauwagengeschichte
erzählt.
JEMAND AUS DER RUNDE
(bestimmt) Jo! Und
Gerüchte wird von uns
hier keiner
weiterverbreiten.
Prost.

39. AUSSEN – EIN CAMPINGPLATZ – NACHT

Während drinnen zugestimmt, geprostet und weitergefeiert wird, sehen wir, dass der Wohnwagen ein zum Campingwagen modifizierter und zur Einweihungsfeier geschmückter Bauwagen ist. Langsam nähern wir uns der Deichsel. Im Halbdunkel ist deutlich zu erkennen, dass sie eine tiefe Scharte hat.

Während des Abspanns:

40. AUSSEN – DIE BAUWAGEN-LAUBE – TAG

Monika schließt die Bauwagen-Lauben-Tür ab, legt den Schlüssel auf einen Tisch auf der Terrasse und geht zu ihrem Rucksack, der an der Deichsel lehnt. Als sie ihn aufnimmt und schultert, erkennen wir darin die Scharte des Campingplatzwagens.

41. AUSSEN – EIN BAUWAGEN-RAUMSCHIFF – TAG

Der Abenteuerspielplatz wird demontiert. Ein ARBEITER wischt sich den Schweiß von der Stirn, nimmt dann seine schwere Spitzhacke wieder auf, die er an die Deichsel gelehnt hatte, dadurch kommt auch hier die Scharte zum Vorschein.

42. AUSSEN – EIN BAUWAGEN – TAG

Auf der Baustelle wird in bitterer Kälte gearbeitet. Auf der Deichselkonstruktion steht eine Kiste Bier. Günther stößt sie im Vorbeigehen an und kippt sie fast runter.

GÜNTHER
(zu sich) Och Leude –
das ist doch
gefährlich.

Er stellt sie auf den Boden und geht seiner Wege… – die Deichsel hat keine Scharte. Die Kiste steht nun unmittelbar an einer Ecke des Wagens. Um diese Ecke kommt jetzt Horst gebogen. Im Gehen ist er dabei, einen schweren Trennschleifer mit Benzinmotor anzuwerfen. Er stolpert über die Kiste, vermeidet gerade so eben einen schweren Unfall, taumelt aber mit der laufenden Trennscheibe gegen die Deichsel. Als er sich wieder aufrappelt, sieht er die tiefe Scharte im Metall.

HORST
(mit der Hand über das
Metall streichend, wie
um die Scharte
wegzuwischen) Ups, das
war schon.

Horst geht ab. In dem Kasten zerplatzt eine gefrorene Bierflasche.

Vom Drehbuch zum visuellen Konzept
Szenenbildnerübung zu „Der Wagen“

Du hast den Auftrag, als Szenenbildner das vorliegende Filmprojekt DER WAGEN zu betreuen. Eben hast du das Drehbuch bekommen, und demnächst sollst du deine ersten Ideen formulieren und präsentieren.
Im Gespräch mit den anderen „Heads of Department“ (Regie, Kamera und Produktion) solltest du deine visuellen Vorstellungen so darstellen können, dass sie für deine Kollegen klar nachvollziehbar werden und ihr über ihre Umsetzung effektiv diskutieren könnt.

Bearbeitungsablauf:

1. Lies das Drehbuch DER WAGEN und markiere beim Lesen szenenbildrelevante Signale.

2. Mache dir Gedanken zu einem visuell-ästhetischen Gesamtkonzept.

3. Für die filmische Umsetzung müssen einige unterschiedliche Sets eingerichtet werden. Wähle ein Film-Motiv des Drehbuchs aus, dessen Umsetzung dich besonders reizt, und begründe kurz deine Wahl.

4. „Skizziere“ deine ersten Ideen zur Umsetzung und entscheide dich für eine Präsentationsform. Die Darstellungsformen sind offen.
Klassische Handzeichnungen oder digitale Darstellungen sind ebenso möglich wie Collagen, Moodboards oder Arbeitsmodelle. Entscheidend ist die atmosphärische und inhaltliche Anschaulichkeit deiner Filmidee.

Zur Erarbeitung folgende Vorschläge bzw. Fragestellungen mit beispielhaften Antworten:

1. Wodurch wird das Szenenbild wesentlich bestimmt?
Dramaturgie, Genre, Figuren

2. Triff szenenbildnerische Grundsatzentscheidungen für die Umsetzung:
Welche Atmosphären und Stimmungen sollen transportiert werden?
Welches Farbkonzept könnte die Geschichte unterstützen?

3. Welche Stimmungsvorgaben macht das Drehbuch für die Umsetzung deines Motivs?
Zufriedenheit, Spannung, Angst

4. Mache dir Gedanken, welche Szenenbilddetails deine Ideen weiter unterstützen:
Welche Möbel oder Lichtquellen würdest du auswählen?
Welche Kleinrequisiten beschreiben deine Ideen?
Welche Symbole und Zeichen transportieren deine Ideen?

5. Notiere kurz, welcher „Gegenstand“ durch welche Beschaffenheit welche von dir gewünschte Wirkung erzielt.
Ein Raum, Material oder Requisit suggeriert durch Enge oder Weite, kalte oder warme Farben, neuen Glanz oder abgelebte Oberflächen mit Patina Ausweglosigkeit, Nüchternheit, Gemütlichkeit.

6. Berücksichtige auch die Umsetzung:
Ist es für dich sinnvoller, das Set „on Location“ zu drehen, oder favorisierst du einen Studiobau?
Ist der Kostenaufwand für deine Entscheidungen nachvollziehbar?

Doppelleben, Szenenbildneraufgabe

Ein erfolgreicher Auftragskiller taucht zwischen zwei Jobs immer ab in die Anonymität seiner sorgfältig ausgearbeiteten Tarn-Existenz als vollkommen unauffälliger Durchschnittsbürger. Genaugenommen als Unterdurchschnittsbürger. Nur wenn man sehr genau hinschaut, findet man hier und da in seinem Alltag kleine Hinweise auf sein Geheimnis. So lernen wir ihn am Anfang des Films kennen …

Wie lebt er?
Denke an: Alltagsgegenstände, seine Wohnung, sein Viertel, sein Fahrzeug, seine Hobbys, seine Arbeit, seine Gewohnheiten, seinen Familienstand etc.

Stelle ihn uns mit drei szenenbildnerischen „Elementen“ vor: Fotos, Videos, zeichnerische Entwürfe sind willkommen.

Präsentiere jeweils:

• ein szenenbildnerisches Element
• benenne es
• informiere uns über seine Beschaffenheit
• erkläre uns, was es leistet

Abwegiges Beispiel:

• Foto eines Raketenrucksacks
• Raketenrucksack
• liebloses Standardmodell einer Mietraketenrucksackfirma, aber mit manipuliertem, drehbarem Nummernschild
• Raketenrucksäcke sind in seiner Zeit und Weltgegend das gängige Fortbewegungsmittel der Mittelschicht, einen eigenen kann er sich in seiner
gewählten Rolle zu seinem Bedauern nicht leisten, das Trick-Nummernschild hat er gebaut, um im Notfall etwaige Verfolger zu verwirren.

„Unter allen Knochen (AT)“
Vom Drehbuch zum visuellen Konzept

– Die Aufgabenstellung –

Wird der Literaturklassiker „Unter allen Knochen“ nun doch noch verfilmt?
Millionen Science-Fiction- und Fantasy-Fans in aller Welt fiebern einer Entscheidung entgegen, die momentan maßgeblich von der Arbeit von Szenenbildnern abhängt. Die erarbeiten derzeit visuelle Konzepte, die die Produktionsgesellschaft davon überzeugen sollen, dass der Film als Big-Budget-Produktion die Massen schon allein mit seinen großartigen Bildern in die Kinos ziehen wird – überwältigend in der Wirkung und präzise im Detail…

Vor dir liegt ein Auszug aus dem Drehbuch (das komplette Script wird wegen einiger origineller Abweichungen von der Literaturvorlage bislang streng geheimgehalten).
Gesell dich zu deinen Kollegen und gib eine knackige Arbeitsprobe ab (siehe Blatt 2).

Deine Entwürfe sollen deine visuellen Ideen so präsentieren, dass sie für die anderen „Heads of Department“ (Regie, Kamera und Produktion) nachvollziehbar werden und über ihre Umsetzung effektiv diskutiert werden kann.

Zum Arbeitsablauf:

1. Lies das Drehbuch „UNTER ALLEN KNOCHEN (AT)“ und arbeite zentrale szenenbildrelevante Informationen heraus.
2. Für die filmische Umsetzung müssen unterschiedliche Sets eingerichtet werden. Benenne alle zu entwerfenden Motive.
3. Mache dir Gedanken zu einem visuellen Gesamtkonzept und zu den einzelnen Sets.
4. Wähle ein Film-Motiv des Drehbuchs aus, dessen Umsetzung dich besonders reizt, und begründe dir selber kurz deine Wahl.
5. „Skizziere“ deine ersten Ideen.

Abzugeben sind:

1. die Liste der verschiedenen Sets
2. ein filmarchitektonischer Entwurf zu einem der Sets
3. ein szenenbildnerischer Entwurf für ein Requisit/Gadget, das dem von dir gewählten Set entstammt

Wähle eine angemessene Präsentationsform. Die Darstellungsformen sind offen:
Klassische Handzeichnung oder digitale Darstellung sind ebenso möglich wie Collagen oder Arbeitsmodelle.
Entscheidend ist die atmosphärische und inhaltliche Anschaulichkeit deiner Filmideen.
Ergänzendes Material (Recherche-Fotos, Skizzen, Modelle etc.) ist willkommen.

Wählst du eine nichtdigitale Präsentationsform, muss dein Ergebnis
allerdings ins Digitale übersetzbar sein (aussagekräftig film- bzw.
fotografier- bzw. scanbar), damit deine Lösung beispielsweise per E-Mail
verschickt werden kann.

Zur Erarbeitung folgende Vorschläge bzw. Fragestellungen mit beispielhaften Antworten:

1. Wodurch kann das Szenenbild wesentlich bestimmt werden?
Dramaturgie, Genre, Figuren

2. Triff szenenbildnerische Grundsatzentscheidungen für die Umsetzung:
Welche Atmosphären und Stimmungen sollen transportiert werden?
Welches Farbkonzept könnte die Geschichte unterstützen?
Welche Symbole und Zeichen transportieren deine Ideen?

3. Welche Stimmungsvorgaben macht das Drehbuch für die Umsetzung deines Motivs?
Zufriedenheit, Spannung, Angst

4. Mache dir Gedanken, welche Szenenbilddetails deine Ideen weiter unterstützen:
Welche Möbel oder Lichtquellen würdest du auswählen?
Welche Kleinrequisiten beschreiben deine Ideen?
Wie ist der Zustand der Innenräume und der Requisiten (nagelneu, Patina, Gebrauchsspuren)?

5. Berücksichtige auch die Umsetzung:
Ist es für dich sinnvoller, das Set „on Location“ zu drehen, oder favorisierst du einen Studiobau?
Ist der Kostenaufwand für deine Ideen nachvollziehbar?

6. Notiere kurz, welcher „Gegenstand“ durch welche Beschaffenheit welche von dir
gewünschte Wirkung erzielt. Ein Raum, Material oder Requisit suggeriert durch Enge oder Weite, kalte oder warme Farben, neuen Glanz oder abgelebte Oberflächen Zufriedenheit, Anspannung oder Angst.

Kai Bagsik

UNTER ALLEN KNOCHEN (Script-Auszug)

AUTOR: Till Bender

1. AUSSEN – EINE WÜSTENLANDSCHAFT – TAG

Vor Urzeiten auf der Erde. Die Welt steht in Flammen. Doch brüllt hier keine Feuerwalze, kein Inferno tobt. Es brennt friedlich, idyllisch.

2. AUSSEN – EINE KLEINE SIEDLUNG IN DER WÜSTE – TAG

Die Flammen gedeihen gut. Sie wachsen auf den Felsen am Wegesrand, sprießen aus Mauerritzen; manche brennen einzeln, manche bilden kleine Inseln oder Felder. Im Schatten stehen andere als im grellen Sonnenlicht. Zarte Ranken opalisierender Flämmchen umspielen eine weite Fensteröffnung.

3. INNEN – EINE WERKSTATT – TAG

Die zwei Personen in der Werkstatt hinter dem Fenster sind eindeutig ein MANN und ein KIND, wenn auch beide eindeutig nicht ganz und gar menschlich. Der Mann steht an einem Arbeitstisch über ein Objekt gebeugt, das aussieht wie ein aus zahlreichen unregelmäßigen Fragmenten zusammengesetzter polierter Ball. Es trägt ein kleines Zeichen, das noch nicht genau zu erkennen ist. Hin und wieder greift er, ohne aufzuschauen, nach einem der vielen Instrumente, die in sinnreicher Anordnung um ihn herum an den Wänden hängen. Einige von ihnen sind in Teilen beweglich und mit allerfeinsten Skalen versehen, andere lassen sich über die Fingerkuppen stülpen und laufen in schlüsselähnliche Spitzen aus, mit denen der Mann in sein Werkstück hineingreifen kann. Er scheint abwechselnd zu messen und zu justieren. So versunken ist er in seine Arbeit, dass das Spiel des Kindes ihn nicht im Mindesten stört. Es übt, kleine runde Steine quer durch die Werkstatt in eine Schale zu befördern, die auf der Türschwelle steht. Es nimmt einen Kiesel auf, legt ihn sich auf der flachen linken Hand zurecht, zielt mit den Fingerspitzen auf die Schale und schließt die Augen. Jetzt reibt es Daumen und Finger der rechten Hand aneinander, immer schneller, immer heftiger, bis der Stein sich leicht von der Handfläche löst und zu schweben beginnt. Schließlich schnipst es ihn mit dem rechten Zeigefinger fort, ohne ihn dabei zu berühren. Etwa vier von fünf Schüssen sind Treffer. Dann geht einer völlig fehl und schlägt eine der vielen bunten Scheiben aus ihrer Fassung in der offenstehenden Tür. Sie fällt zu Boden und zerspringt klirrend in ein halbes Dutzend Teile. Der Mann wendet sich um, macht ein paar ruhige Schritte zur Tür und hebt zwei der Scherben auf. An ihren Bruchkanten legt er sie vorsichtig aneinander, reibt mit Daumen und Zeigefinger über den Bruch, und nach wenigen Sekunden sind die beiden Stücke zu einem einzigen verschmolzen. Mit den restlichen Scherben verfährt er in gleicher Weise. Zum Schluss setzt er die reparierte Scheibe an ihren Platz in der Tür zurück, wo sie nach ein paar Strichen über ihre Einfassung wieder so fest sitzt wie vor dem Malheur. Der Mann legt dem Kind kosend die Hand auf den Kopf und geht zurück an seine Arbeit. Auf halbem Wege bleibt er abrupt stehen. Das Licht um den Ball herum vibriert, der Raum über dem Tisch scheint dünner zu werden. Wie durch einen unsichtbaren Spalt in der leeren Luft tasten sich, schwarz behaart und klauenbewehrt, vielgliedrige dürre lange Beine aus dem Nichts herein. Der Mann streckt den Arm hinter sich, damit das Kind nicht näherkomme, doch es kommt näher, stellt sich dicht neben den Mann und reckt sich neugierig, um besser zu sehen. Dann nimmt es ihn bei der Hand, schaut zu ihm hoch und schüttelt ernst den Kopf. Der Mann nickt zustimmend. Geschickt meidet er die zuckenden Beine, greift rasch zu und schlägt seine Arbeit krachend auf die Tischplatte. Augenblicklich endet das schaurige Schauspiel. Entschlossen greift er ein letztes Mal zu einem der Werkzeuge, setzt es an und dreht es mit einem Ruck. Die jetzt ganz trivial wirkende Kugel trägt er nach draußen.

4. AUSSEN – VOR DER WERKSTATT – TAG

Der Mann gräbt vor der Tür eine kleine Kuhle, legt den Ball hinein und bedeckt ihn mit Sand, den er mit einigen Strichen seiner Hände zu festem Stein verdichtet. Mit einem ganz leichten Hüpfer geht er hinein, dann fallen wieder Kiesel in die Schale auf der Türschwelle. Außen an der Hauswand ist neben einer kleinen Glocke ein Schild angebracht. Die meisten Schriftzeichen darauf sind lauter Variationen desselben Grundmusters: ein sichelförmiger Bogen, der in der Mitte von einem zigarrenförmigen zweiten Element gekreuzt wird. So erinnern sie an die Silhouetten von Vögeln mit ausgebreiteten Flügeln. Das letzte Zeichen sieht genau aus wie eine Schwalbe.

5. AUSSEN – EIN STÜCK AUTOBAHN VOR EINER STADT – TAG

In naher Zukunft. Ein Mann, früher hieß er HERR WENGER (45), reitet auf einer leeren Autobahn in eine große Stadt. Am Leib trägt er ein Ensemble aus Tierfellen, ausgebesserter Outdoor- Funktionskleidung und einem integrierten Trageriemen-System. An Haken, Ösen, Schlaufen und Laschen dieser heterogenen Garderobe hängt jede Menge Survivalmaterial. Dabei wirkt der Mann nur halb lächerlich. Er wirkt außerdem wohlausgerüstet. Und ungemütlich zielstrebig. Sein Reittier ist ein Esel. Der Esel zieht einen überladenen Karren. Die Waffen des Mannes, seine Ausrüstungsgegenstände und die Ladung des Karrens sind zu ungefähr gleichen Teilen archaisch, historisch, modern und futuristisch.

6. AUSSEN – IN DER STADT – TAG

Die Stadt eine Geisterstadt. Während der Mann immer tiefer in sie vordringt, in stoischer Ruhe auf den ersten Blick, tatsächlich aber mit den überwachen Sinnen eines Jägers auf der Pirsch – oder auch denen eines Beutetiers – wird er aus diversen Perspektiven beobachtet. Von feindseligen Augen. Von Facettenaugen. Sie gehören zu starken, widerstandsfähigen Körpern, die auf Dächern, hinter leeren Fensterlöchern und in Kanalisationsschächten hocken – lauern… Der Eselreiter hat die Kreaturen noch nicht wahrgenommen, als sie ihn plötzlich, als hätte jemand ein militärisches Kommando gegeben, aus allen Richtungen angreifen. Er fischt eine kleine elektronische Steuerungseinheit aus den Tiefen seines Anzugs, zieht mit den Zähnen die Antenne heraus und drückt mehrmals auf die zentrale Taste des Geräts. Ohne Wirkung. Die Kreaturen stürmen auf ihn zu. Der Mann schießt schnell und sicher vom Karren: Pfeile, Bolzen, Schrot, Deformationsgeschosse, Leuchtmunition und Energieladungen, je nachdem. Zwischendurch effektiv mit dem Colt. Sie kommen trotzdem immer näher. Es sind zu viele. Der Esel liegt schreiend unter drei von ihnen auf dem maroden Asphalt. Jetzt sind sie über dem Mann. Er kämpft nah mit seinem Bowie-Messer und eine Steinkeule. Mit letzter Kraft gelingt es ihm im Todeskampf, schon  mit einigen Fängen und Klauen in seinem Fleisch, ein letztes Mal auf die Taste seiner Steuerung zu drücken. Diesmal funktioniert der Apparat: Ein rustikal getarntes Verteidigungssystem, bestehend aus multiplen intelligenten, autonomen Ziel-und-Feuer-Modulen, wird hochgefahren und erledigt mit unfehlbarer Präzision alle scheußlichen Angreifer, bevor es sich wieder in den Stand-by-Modus begibt. Der Mann rafft sich mühsam auf. Als Erstes tötet er weinend seinen unrettbar zerschundenen Esel. Dann versorgt er notdürftig seine eigenen Wunden und setzt schließlich seinen Weg – mit einem respektablen Brocken Eselfleisch im Gepäck – zu Fuß fort.

7. AUSSEN – VOR DEM MUSEUM – ABEND

In schwindendem Tageslicht erreicht der Mann das Kultur- und Technologiehistorische Museum der Stadt. Alle Eingänge und die Fenster im Erdgeschoss und ersten und zweiten Stock sind mit Sicherheitsrolladen verschlossen. Er klettert auf einen Baum, klemmt sich in fast zehn Metern Höhe in eine Astgabel und zieht ein Seil mit einem kleinen Wurfanker daran aus seinem Rucksack. Nach mehreren missglückten Würfen verfängt der Anker, der Mann kann sich gegen die Hauswand schwingen, klettert noch ein paar Meter in die Höhe, zerschlägt dort ein Fenster und steigt in das Gebäude ein.

8. INNEN – DIFFUSE RÄUME, KORRIDORE, TREPPENHÄUSER – NACHT

Mit Hilfe seiner Taschenlampe findet der Mann seinen Weg durch dunkle Korridore, Treppenhäuser und Ausstellungsräume. Auf einem Treppenabsatz kommt er an einer mächtigen Feueraxt vorbei. Die nimmt er mit.

9. INNEN – RAUM DER SONDERAUSSTELLUNG – NACHT

Vor einer Tür, die früher mit einem elektronischen Nummernschloss gesichert war und heute nur noch verschlossen ist, bleibt er stehen. Wie einer, der unmittelbar vor dem Ziel einer langen Reise angekommen ist, hält er einen Moment inne. Die Tür leistet seinem Hauen und Hebeln eine Minute lang Widerstand, dann ist der Weg frei. Der Mann macht einen Schritt durch die Holzsplitter und verschwindet im Dunkeln.

10. INNEN – FLUR – TAG

Zwei Jahre zuvor. Im Haus der Wengers steht Herr Wenger an der Haustür.

HERR WENGER
So, was ist denn jetzt, die
ganze Familie?! Wir wollten
doch eigentlich vor einer
halben Stunde los. Das
bedeutet wahrscheinlich
jetzt schon eine Stunde
länger vor dem Eingang
Schlangestehen!

11. INNEN – LUSIES KINDERZIMMER – TAG

Tochter LUSIE (4) liegt in ihrem Zimmer auf dem Bett und blättert in einem Vogelbestimmungsbuch für Kinder. Die Zimmerwände sind von Vogelpostern bedeckt, dazwischen hängen einige ausgestopfte Vögel, und auch die meisten Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände sind auf den ersten Blick als die eines Vogelliebhabers zu erkennen.

LUSIE
(halblaut)
Bin schon da.

Dann blättert sie „nur noch einmal“ um und versenkt sich fast gegen ihren Willen in das nächste Bild.

12. INNEN – KÜCHE – TAG

Sohn MIKKE (7) hat die Fernbedienung in der Hand. Mutter ESTHER Wenger (35) schaut auf den Bildschirm.

MIKKE
Hey, guck mal, Papa, die
bringen gerade was aus dem
Museum!

Wenger gesellt sich widerwillig und ungeduldig zu Frau und Sohn in die Küche und bekommt gerade noch das Ende eines Interviews mit.
PROFESSOR LINDENHORST spricht:

LINDENHORST
Ich will ja gar nicht
bestreiten, dass es sich um
eine kleine Sensation
handelt. Aber eben nicht um
so eine Sensation, wie die
Sensationspresse gerne
draus machen würde…

13. INNEN – LINDENHORSTS PRIVATBÜRO IM MUSEUM – TAG

Die INTERVIEWERIN, die sich mit dem ganzen Gesicht bemüht, auf Augenhöhe mit dem Fachmann zu wirken, fällt ihm ins Wort.

INTERVIEWERIN
Aber es ist schon so, dass
diese Artefakte in
Erdschichten gefunden
wurden, die unter denen
liegen, in denen man
Dinosaurierknochen gefunden
hat, das ist doch mal Fakt.
LINDENHORST
Das ist in der Tat so –
wenn wir für den Augenblick
mal Knochen mit Fossilien
gleichsetzen -, und für den
Laien mag das ja auch sehr
suggestiv sein und
ausreichen, eine scheinbar
unvermeidliche
Schlussfolgerung zu ziehen.
So – wenn man aber schon
mal von oberflächennaher
Geodynamik, von
geologischen Störungen und
den komplexen Problemen im
Bereich der
Geomorphochronologie gehört
hat, dann fangen die
Schlussfolgerungen schnell
an, weniger zwingend zu
werden. Trotzdem sind diese
neuen Funde unerhört
spannend… für Fachleute
und Hobbyarchäologen – auch
wenn wir deswegen noch
nicht gleich die Erd- oder
Evolutionsgeschichte
umschreiben müssen. Denn
eins kann ich Ihnen
versichern… (zwinkert
jovial in die Kamera)

14. INNEN – KÜCHE – TAG

LINDENHORST (CONT’D vom Bildschirm)
… vor den Dinosauriern
gab es ganz sicher keine
Schwalben.

Wenger knipst den Fernseher aus.

15. AUSSEN – VOR DEM MUSEUM – TAG

Die Wengers steht fünfzehn, zwanzig Meter vor dem Museumseingang, nur wenige Leute zwischen sich und den Türen. Dann wechselt die Perspektive, und wir sehen, dass die Familie die letzten von ungefähr zweihundert Personen sind, die in einer sich mehrmals in Haarnadelkurven um mobile Personenführungsgeländer windenden Schlange vor einem Kassenhäuschen warten.

16. INNEN – RAUM DER SONDERAUSSTELLUNG – TAG

Abgespannt stehen die Wengers in einem großen Ausstellungsraum. Herr Wenger bemüht sich, einen Zugang zu den in großen Glasvitrinen ausgestellten Objekten zu finden. Einige sind identisch mit Instrumenten aus der Werkstatt, andere ihnen in Formsprache und Design ähnlich.

ESTHER WENGER
(leicht überbemüht)
Wow, da kriegt man eine
richtige Gänsehaut. Mikke,
lies doch mal vor, was da
drauf steht.

Sie deutet auf eine Informationstafel. Mikke seufzt gequält. Lusie löst sich schwer gelangweilt von der Gruppe und verfolgt ein improvisiertesGeschicklichkeitsspiel, bei dem sie versucht, nicht auf die Fugen im Parkett zu treten bzw. nur auf sie bzw. nur auf die dunklen Felder o. ä.. Ihre Schritte führen sie zu einer mit einem elektronischen Nummernschloss gesicherten Tür, die sich gerade öffnet, als sie unmittelbar daneben steht. Professor Lindenhorst kommt halbeilig heraus, blättert im Gehen in den Papieren auf seinem Klemmbrett und lässt die mit einem hydraulischen Schließer versehene Tür hinter sich zufallen. Lusie schaut in den Raum hinein, findet den Fußboden des dort eingerichteten Labors interessant genug, um in ihr Spiel integriert zu werden und betritt unbemerkt diesen für Besucher verbotenen Bereich des Museums.

17. INNEN – LABOR – TAG

Die beiden Wissenschaftler arbeiten konzentriert, Lusie ist klein und leise. Sie macht ein paar lautlose Schritte, dann fällt ihr Blick auf einen Gegenstand, der aussieht wie ein aus zahlreichen unregelmäßigen Fragmenten zusammengesetzter polierter Ball, klein, aber unübersehbar darauf ihr zugewandt das Bild einer Schwalbe mit ausgebreiteten Flügeln. Lusie nimmt den Ball vom Tisch, steckt ihn in ihre Manteltasche und verlässt unbemerkt das Labor. Erst als sich die Tür wieder schließt, merkt einer der Wissenschaftler kurz auf.

18. AUSSEN – IM WAGEN DER WENGERS – TAG

Auf der Heimfahrt schaut Esther Wenger auf dem Beifahrersitz im Rückspiegel nach ihren Kindern. Was sie sieht, freut sie. Vorsichtig macht sie ihren Mann darauf aufmerksam. Der schaut auch: Mikke hat die großformatige Museumsbroschüre mit allen wissenswerten Informationen über die Sonderausstellung in der Hand und liest konzentriert, Lusie lächelt versonnen. Herr Wenger ergreift die Hand seiner Frau und küsst sie. Die Eltern sehen nicht das komplette Bild: hinter der Broschüre verbirgt sich ein Dinosaurier-Comic, und Lusie streichelt in der Manteltasche ihren neuen Schwalbenball.

19. INNEN – LUSIES ZIMMER – NACHT

Abends, schon im Schlafanzug, rollt Lusie in ihrem Zimmer den Ball auf dem Teppich zwischen den Händen hin und her.
Mutter Wenger kommt die Treppe herauf:

ESTHER WENGER
Zeit fürs Bett, Kinder!

Zuerst bekommt Mikke seinen Gutenachtkuss. Da fällt Lusie ein, dass niemand ihren illegalen Ball sehen darf. Fieberhaft sucht sie nach einem geeigneten Versteck, während im Hintergrund in Mikkes Zimmer darüber verhandelt wird, wie lange das Hörspiel noch laufen darf. Kein Ort scheint ihr sicher genug. Schließlich öffnet sie das Fenster und legt den Ball außen auf den Fenstersims. Im allerletzten Moment. Da steht die Mutter in der Tür.

ESTHER WENGER
Was ist denn hier los? Hier
ist ja noch das Fenster
offen. Und du im
Schlafanzug. Lusie, weißt
du, wie gefährlich das
ist!?

Mutter Wenger schließt das Fenster unsanft.

20. AUSSEN – HINTER DEM HAUS DER WENGERS – NACHT

Die Kugel fällt in die Tiefe und schlägt hart auf den Terrassenplatten auf. Sie rollt nicht weiter, springt nicht, sondern bleibt unnatürlich starr liegen. Von oben ist leise zu hören, wie Mutter Wenger Lusie zu Bett bringt. Aus Mikkes Zimmer kündigt die Erkennungsmelodie ein Abenteuer der Kinderdetektive an. Hinter den Gardinen der Terrassenfenster schaltet Herr Wenger den Fernsehapparat ein. Draußen fängt die Waschbetonplatte unter der Kugel an zu schäumen.

Locationscouting und Storyboarding

Die Aufgaben:

Vor dir liegen drei Eröffnungen von Drehbuchentwürfen, die sich allesamt beschreiben ließen als „eine Frau betritt ein Gebäude, dazu Voice-over“. Aber hier soll es nicht um die Gemeinsamkeiten gehen, sondern um die Unterschiede…

1. Lies die drei Texte aufmerksam durch.
2. Markiere alle Stellen, an denen für einen Dreh szenenbildnerische Unbestimmtheiten konkretisiert werden müssen.
3. Formuliere für jede der drei Frauenfiguren, in welcher Grundstimmung sie sich befinden (habe stets Textstellen zum Belegen parat).
4. Wähle eine Geschichte aus, und begib dich für sie auf Location-Suche. Lege fest, wie viele und welche Sets gebraucht werden. Finde drei Motive, dokumentiere und begründe deine Wahl.
5. Erstelle ein Storyboard (nicht weniger als fünf, nicht mehr als zwanzig Bilder). Formuliere, inwiefern dein Entwurf welche Stimmungslage der Frau, welche Atmosphäre des Ortes kommuniziert.
6. Benenne ein Problem, das durch dein Storyboard bei einem realen Dreh rechtzeitig aus dem Weg hätte geräumt werden können.

Entwurf A (Romantic Comedy)

Eine hübsche Frau Anfang dreißig kommt vor ihrer Hochschule an. Sie grüßt in die Kamera, stellt ihr Fahrzeug ab, geht zu einem Eingang, durchquert einige Korridore und Treppenhäuser, organisiert sich unterwegs ein Getränk und erreicht schließlich ihren Arbeitsplatz.

Während dieser Sequenz:

VALERIE KÖRBER (V.O.) (eine
freundliche, etwas geschwätzige, alte
Stimme)
Hallo, verehrte Damen und Herren, liebe
Kinder, mein Name ist Valerie Körber. Und
dies… – ist der schönste Tag meines
Lebens. Ich weiß, für den ersten Satz
einer Geschichte ist das etwas lahm, und
ich höre schon all die Fachleute stöhnen,
„da muss man doch sicht-bar machen,
was das für ein schöner Tag das ist, man
darf das nicht nur behaupten…“, ist ja
alles richtig. Aber mir geht es um einen
gewissen Widerspruch, eine kleine
Pointe, wenn man so will. Ich habe viele
Jahre voller schöner Tage erlebt, aber
wenn ich den Finger auf den schönsten
legen sollte, würde ich diesen auswählen.
Und das liegt nicht daran, dass ich mich
ein paar Wochen vor diesem Tag noch
gefragt hatte, ob ich nicht komplett an
meinem Leben vorbei studiert hätte, und
nicht wusste, wie ich die Miete für mein
WG-Zimmer auftreiben sollte, und ich jetzt
gerade zu meinem ersten eigenen Büro
spaziere, wo eine ziemlich teure, ziemlich
alte Zuckerdose auf mich wartet, die ich
mir neuerdings leisten kann. Auch nicht
daran, dass ich in Kürze meinen
zukünftigen allerliebsten Ehegatten
kennenlernen werde (den ich manchmal
„Zuckerdose“ nenne, obwohl er das
hasst), nein, nicht den…, der ist es auch
nicht…, also – ich bitte Sie…, nein, ich
würde ihn nicht den schönsten Tag
meines Lebens nennen können, wenn
damals nicht etwas ganz Bestimmtes
passiert wäre. Lassen Sie es mich so
formulieren: Ich weiß nicht, ob Sie schon
mal einen Herzinfarkt hatten…

Valerie steht in ihrem Büro, reibt sich überrascht den schmerzenden linken Arm und bricht zusammen.

Entwurf B (Drama)

Eine hübsche Frau Anfang zwanzig kommt vor ihrer Hochschule an. Sie guckt ausdruckslos in die Kamera, stellt ihr Fahrzeug ab, findet einen Eingang, durchquert einige Korridore und Treppenhäuser, organisiert sich unterwegs ein Getränk und erreicht schließlich einen Sitzplatz, an dem sie kraftlos ihr Gesicht in die Hände sinken lässt.

(Anrufbeantwortersituation)
DIE MAMA (V.O.)
Hallo, Spätzelchen, hier ist die Mama. Ja
schade, da habe ich dich wohl verpasst…
Ich wollte dir doch noch mal viel Erfolg
wünschen für deinen ersten Tag. Der
Papa lässt auch schön grüßen, und ich
soll dich noch mal erinnern, was Opa am
Wochenende gesagt hat: „Jeder erste Tag
bietet irgendwo eine erste Gelegenheit,
den ersten kleinen Vorsprung
herauszuholen“, du, ich habe da noch mal
drüber nachgedacht, und ich glaube, da
liegt doch sehr viel Wahrheit drin; gerade
am Anfang leisten sich viele noch den
Schlendrian, und früher oder später werden-
das-al-les-dei-ne-Kon-kur-ren-tensein.
Na, ja, das haben wir ja alles
besprochen.
Wir vertrauen dir. Hat auch der Papa
vorhin noch mal gesagt: „Ich vertraue
meinem Mädchen wieder.“
Also, ich melde mich ja nachher noch mal
bei dir. Ich bin ja so gespannt, was zu
berichten hast, du musst mir alles genau
erzählen. Der erste Ta-hag…“
(Anrufbeantwortersituation)
DIE TOCHTER (V.O.) (elend)
Hallo Mick. (Pause)
Wegen gestern… (Pause)
Ich bring das einfach nicht. (Pause)
Ich muss das durchziehen. (Pause)
Wenigstens das erste Semester. (lange
Pause)
Isso.

Entwurf C (Thriller)

Eine hübsche Frau Anfang dreißig kommt vor ihrer Hochschule an. Sie schaut auf die Uhr, stellt ihr Fahrzeug ab, geht zu einem Eingang, durchquert einige Korridore und Treppenhäuser, organisiert sich unterwegs ein Getränk und erreicht schließlich ihren Arbeitsplatz. Nur bei genauerem Hinsehen bemerkt man, dass sie permanent aufmerksam ihre Umgebung scannt.
Während dieser Sequenz hören wir ihren inneren Monolog:

IRENE KLEIN (V.O.)
„Zugriff minus 240“. Heute ist es so weit.
In genau vier Stunden ist es so weit. So
oder so. Aber ob uns das ganze Ding
noch um die Ohren fliegt oder der Chef
mir heute Abend kräftig die Hand
schüttelt, hängt von den nächsten vier
Stunden ab.
Verdammt. – – – Er muss noch einen
Kontakt machen. Oder wenigstens was
deponieren. Muss er einfach. Wenn nicht,
waren die ganzen letzten sechs Monate
umsonst.
Der gehört bestimmt zum Team. Oder
der? Der?
Aber wo… Wo? Ich war wachsam.
Professionell. Immer. Aber wenn mir ein
einziges wichtiges Wort entgangen ist,
habe ich’s vielleicht vermasselt. Wenn mir
ein falsches Wort rausgerutscht ist, auch.
Er hat – nichts – gemerkt.
Eine einzige elende Dichotomie, mein
Leben zuletzt; ich hab alles richtig
gemacht, und ich war immer falsch. Wie
hab ich mich vor ihm geekelt, und wie
heiß war es mit ihm! Ich verachte ihn, und
ich bewundere ihn.
So ein Scheiß!
Wo? Wo, wo, wo?

Irene geht auf eine Gruppe Studenten zu.

IRENE
Na, mein Großer, guten Morgen. Ey, ganz
ehrlich, ich wär‘ heute am liebsten im Bett
geblieben…

MONSTERS 04.01.2008 von Till Bender

CHRAKTERISIERUNG

FRANKIE (22) lebt völlig unsortiert. Selbst seinen entspanntesten Freunden geht es gelegentlich auf die Nerven, dass er nie etwas auch nur zu einem vorläufigen Ende bringt; Frankie ist schnell begeisterungsfähig und verliert ebenso schnell wieder jegliches Interesse (war in der laufenden Saison schon Fan von drei konkurrierenden Fußballvereinen). Er studiert Geographie im 2. Semester – hat sich damals spaßeshalber gemeinsam mit einem Kumpel eingeschrieben – und geht der Form halber ein, zwei Mal die Woche in die Uni. Sitzt dann hauptsächlich in der Cafeteria. Von seinen Eltern bekommt er Geld für die Miete für sein Studenten-WG-Zimmer (Mitbewohner: BIRGIT (21, Jura), JOCHEN (24, Sport), und ein minimales monatliches Taschengeld. Seine Oma (lebt auf dem Land) versorgt ihn überreichlich mit Produkten ihres Gemüsegartens und gelegentlicher Hausschlachtungen. Die zwei Konstanten in Frankies Leben: der Geldmangel und das Fantasy-Rollenspiel. Nicht zuletzt wegen des ersten stürzt er sich mit (ausnahmsweise anhaltender) Begeisterung in die Welten des zweiten; er sammelt, bastelt und näht Spielfiguren, Garderobe und Accessoires, führt eine (ausnahmsweise sorgfältig archivierte) Korrespondenz mit Gleichgesinnten in aller Welt und trifft sich natürlich regelmäßig zu den üblichen ausufernden Spieleabenden.

1. INNEN – FRANKIES ZIMMER – TAG

Das Zimmer ist abgedunkelt. Frankie liegt im Bett und liest einen Comic unter seiner Nachttischlampe. Ab und zu greift er sich einen Bissen von einem Teller auf dem Fußboden – Reste vom Fantasy- Treffen gestern Abend. Ein Wecker zeigt die Uhrzeit an: 13 Uhr 30. Ein schriller Schrei. Frankie zeigt keine Regung. Laute, schnelle Schritte nähern sich der Tür. Die Tür wird aufgerissen, ein abgrundhässliches Monster reckt Kopf und Oberkörper herein. Direkt dahinter Birgit, die das Kostüm mit integrierter Maske angewidert am ausgestreckten Arm hochhält. Sie ist am ganzen Körper barfuß, hat sich lediglich ein Handtuch umgewickelt.

BIRGIT
(außer sich)
Kannst du mir das bitte mal
erklären?!
FRANKIE
Was denn – erklären?
BIRGIT
Wieso in unserer Dusche ein
scheiß Zombie hängt, Frank!
FRANKIE
Das ist kein Zombie, das
ist ein Troll-Hauptmann.
Hab‘ ich gestern in ’ner
halben Nachtschicht für
Heiko geairbrusht und dann
zum Trocknen aufgehängt. Du
kannst echt froh …

Birgit schleudert den Troll-Hauptmann mit Wucht ins Zimmer.

FRANKIE
Ey, Mann, Vorsicht.
BIRGIT
Du kommst jetzt mit in die
Küche. Wir müssen sprechen.
(angeekelt) Und hier muss
mal Licht und Sauerstoff
rein. Keine Lust, dass uns
hier die Wohnung
zuschimmelt.

Birgit macht ein paar Schritte durch den Raum, zieht den Vorhang zur Seite und reißt das Fenster auf.

FRANKIE
Ey, hast du se noch alle?

Birgit stampft davon, klopft im Vorbeigehen an Jochens Tür.

BIRGIT
Jochen, kommst du bitte
mal!

2. INNEN – WG-KÜCHE – TAG

Birgit, jetzt im Bademantel, sitzt am Tisch, Jochen kommt in die
Küche, leicht zerzaust, hinter ihm eine an die zwei Meter große,
sehr süße junge Frau.

JOCHEN
Was ist denn los, wir haben
gerade … gelernt.
HILLE
Hallo, ich bin die Hille.

Hille schiebt sich die Bluse in den Hosenbund. Birgit nickt ihr zu.

BIRGIT
Wegen Frank. Das geht so
nicht weiter.

Frankie kommt in die Küche.

FRANKIE
(grüßend) Jochen.
JOCHEN
(grüßend) Frankie.
FRANKIE
(zu Hille) Basketball?
Hille
(süß nickend) Mhm.
FRANKIE
Hör mal, Birgit, ich kann
ja verstehen, wenn du …
BIRGIT
Es gibt nur einen
Tagesordnungspunkt, Frank,
in Form von drei Ansagen.
Erstens: Kein Fantasy-Zeug
mehr außerhalb deines
Zimmers. Zweitens: Ende
dieses Monats kriege ich
die Miete für die letzten
drei Monate – und zwar in
Form von Geld, nicht in
Form von Naturalien.
Drittens: Ab sofort suchst
du dir irgendeinen Job,
damit das mit der Miete
auch klappt.
FRANKIE
Also bitte, ja – du bist ja
wohl nicht meine Mutter.
BIRGIT
Nee, aber ich bin hier die
Hauptmieterin, du schuldest
mir drei Monatsmieten, und
meine Eltern haben keine
Gelddruckmaschine zu Hause.
Das war echt mein Ernst.
Wenn das nicht genau so
läuft, liegen deine Sachen
am nächsten Ersten im Hof.

Jochen und Hille tauschen stumm betroffene „Au-weia“-Gesten aus.

FRANKIE
Und wie stellst du dir das
vor? Für Leute mit
Bandscheibenproblemen gibt
es nicht gerade viele
Studenten-Jobs.
BIRGIT
Ich will hier nicht
diskutieren. Das dürfte
wohl allein dein Problem
sein.
HILLE
Ich hab‘ da vielleicht was
… Moment mal.

3. INNEN – JOCHENS ZIMMER – TAG

Hille wühlt kurz in ihrer Tasche, holt eine Zeitung hervor.

4. INNEN – WG-KÜCHE – TAG

Hille kommt in der Zeitung blätternd zurück.

HILLE
Da, genau! „Jurist,
sehbeh., sucht Vorleser.
Ca. 10 Std. pro Wo.“
Telefonnummer steht auch
da.

5. INNEN – EIN JURISTENBÜRO – TAG

Frankie hat eine kurze, aber heftige Vision davon, wie er einem blinden Juristen Akten vorliest – ein Bild, das ihm durch Mark und Bein geht. Er schüttelt sich und die albtraumhafte Vorstellung ab.

6. INNEN – WG-KÜCHE – TAG

FRANKIE
(erschüttert) Also ehrlich,
das ist nichts für mich.
BIRGIT
Da kannst du aber drauf
wetten, dass das was für
dich ist.

Sie schnappt sich die Zeitung und geht damit in ihr Zimmer.

7. INNEN – BIRGITS ZIMMER – TAG

Birgit greift zum Telefon, wählt die angegebene Nummer.

BIRGIT
(imitiert kopfschüttelnd
Frankie) „Das ist nichts
für mich, das ist nichts
für mich, da muss ich dann
ja irgendwie hin und alles
…“ … Ja, hallo? Schönen
guten Tag, ich rufe an
wegen Ihrer Anzeige, ja
genau…

8. INNEN – WG-KÜCHE – TAG

FRANKIE
(missmutig, zu Hille
hinauf) Sag mal, kennst du
zufällig „DIE INVASION DER
TITANENHEXEN“.
HILLE
(leicht unsicher) Nee …?
FRANKIE
Verblüffend.

Birgit kommt telefonierend herein.

BIRGIT
… heute Nachmittag? Ja
wunderbar. Ja, da können
Sie sich drauf verlassen.
Wiederhören – und vielen
Dank.
(zu Frankie) Bewerber
stellen sich bitte vor …
heute zwischen 15.00 und
17.00. Wo? Hier.

Sie klatscht ihm einen Notizzettel in die Hand.

BIRGIT (cont’d)
Wenn du dich ranhältst,
bist du der erste.

9. AUSSEN – DIE STRASSEN DER STADT – TAG

Frankie fährt per Fahrrad durch die Stadt zu der angegebenen Adresse.

10. AUSSEN – VOR DEM HAUS DES BLINDEN JURISTEN – TAG

Er stellt sein Rad ab, klingelt bei „Brenner“, wartet vor der Gegensprechanlage.

FRAU BRENNER
Hallo?
FRANKIE
Ja, ich bin hier wegen der
Anzeige. Äh, wollte mich
vorstellen.
FRAU BRENNER
Wie schön, kommen Sie rauf.

Der Summer wird betätigt, Frankie drückt die Tür auf, tritt ein.

11. INNEN – BRENNERS FLUR – TAG

Frankie wird von einer freundlichen Frau im Mantel erwartet, Anfang 40, eine Einkaufstasche am Arm.

FRAU BRENNER
Guten Tag, kommen Sie
herein. Mein Vater erwartet
Sie schon. Geradezu durch
den Flur, letzte Tür links,
das ist sein Arbeitszimmer.
Und äh – …
(verschwörerisch flüsternd)
machen Sie sich nichts
draus, wenn Sie mit dem
ganzen Zeug nichts anfangen
können … – Sie sollen ihm
ja einfach nur vorlesen,
okay? Ich muss los, ziehen
Sie nachher einfach die Tür
hinter sich zu, ja?
FRANKIE
(leicht beklommen) Danke.

Frau Brenner verlässt die Wohnung, Frankie geht zu der bezeichneten Tür. Die Wohnung sieht bis hierher in etwa so aus, wie er sich die Privatbereiche einer Juristenwohnung vorgestellt hat. Frankie klopft.

BRENNER
Herein.

Frankie schüttelt schicksalsergeben den Kopf und drückt die Klinke herunter.

12. INNEN – BRENNERS ARBEITSZIMMER – TAG

Frankie öffnet langsam die Tür und tritt ein. Das Arbeitszimmer und Brenner selbst sehen ganz und gar nicht so aus wie in seiner Vision. Brenner hat mehr von einem vorindustriellen blinden Dorfschmied, und der Raum sieht aus wie eine Mischung aus einer teuren Variante von Frankies Fantasy-lastigem Studenten-Zimmer und einer vorindustriellen Dorfschmiede. Brenner sitzt hinter einem mächtigen Tisch.

FRANKIE
Guten Tag, ich wollte mich
hier …
BRENNER
(fällt ihm ins Wort) Ich
weiß genau, weswegen du
hier bist. Aber du noch
nicht. Also hör zu. Ich
habe mein Leben zwischen
Aktenordnern zugebracht.
Vor einem halben Jahr wurde
ich pensioniert, und
endlich kann ich lesen, was
ich mag. Dummerweise kann
ich inzwischen nicht mehr
sehen, was ich mag. Zeig
mir mal, was du für mich
tun kannst!

Brenner zieht eine Schublade auf und wirft Frankie ein Buch zu. Frankie fängt es auf. Er kennt es. Es steht mit allen Sequels in seinem eigenen Bücherregal. Er trägt die ersten Zeilen auswendig vor und visualisiert Brenner und sich in die Szene hinein.

FRANKIE
„Der junge T’ahmé hatte die
ganze Nacht das Feuer
versorgt. Der Hammer des
blinden Schmieds hatte
nicht eine Minute
geschwiegen – es waren nur
noch drei Nächte bis
Neumond. Dann würden sie
angreifen, und dann würde
die Stunde der Weißen
Klinge gekommen sein …“

PERSPEKTIVE UND BRENNWEITE oder
Wie die Kamera stets flunkert, ohne je zu lügen

Wenn Menschen von herausragenden Ereignissen berichten, neigen sie zu Übertreibungen. Lauscht man den manchmal unglaublichen Geschichten erfolgreicher Angler, kämpferischer Demonstranten oder entrüsteter Urlaubsheimkehrer, beschleicht einen manchmal im Stillen der Wunsch nach so etwas wie einem Zeugen. Erzählen kann der ja viel, denkt man, und wenn er mich auch sicher nicht direkt anlügt, so mag er doch die wahren Verhältnisse zugunsten der von ihm beabsichtigten Wirkung verzerren. In dem Moment sagt unser Gegenüber: „Und wenn du mir nicht glaubst, hier, ein Beweisfoto!“ – Gut, das ändert alles. Wir sind geneigt, das Foto als Portal aufzufassen, durch das wir quasi hindurchsteigen und uns selber vor Ort von der Sachlage überzeugen können – befreit von den Beschränkungen durch Raum und Zeit, stehen wir gleichsam tatsächlich auf dem Pier, auf dem Marktplatz, in dem Hotelzimmer und sehen mit eigenen Augen: Der Fisch IST so groß, SO viele Menschen marschieren mit, SO eng und dunkel das Zimmer. Glauben wir.

Gerade wer das Ideal einer redlichen, unbestechlichen Foto-Berichterstattung pflegt, sollte sich darüber im Klaren sein, wie sehr die Kamera Wirklichkeit nicht abbildet, sondern technisch interpretiert.
Die unausgesprochene Fortführung des Gedankens von Garry Winogrand: „Ich fotografiere, um herauszufinden, wie etwas aussieht, wenn es fotografiert wurde“ lautet ja: „… und nicht, damit Leute, die nicht dabei waren, sehen können, wie es aussah.“

Ein Beispiel: In Pankow gibt es einen Park, in dem man in einen offenen Säulengang hineinschauen kann. Schnappt euch eine Kamera und kommt mal mit …

Auf der ersten Säule vorne links haben die Herren Dolce & Gabbana ihr Logo hinterlassen. An der dritten Säule auf der rechten Seite lehnt eine elegante Handtasche (wessen wohl?). Zwischen Rosenbeeten und Efeuflächen wird unser Blick über den laubbewehten Sandboden unwiderstehlich in die Bildmitte gezogen, wo uns ganz hinten, am Ende der Kolonnade, eine Aphrodite den Rücken zukehrt, in ihrer Rechten das wohlbekannte Herz am Henkel.

Zwanzig sehr verschiedene Bilder scheinen in zwanzig Köpfen auf, wenn zwanzig Menschen diese lückenhafte Schilderung lesen und den Ort vor ihrem inneren Auge konstruieren. Aber wie viele verschiedene Bilder entstehen, wenn zwanzig Menschen tatsächlich diesen Ort aufsuchen und so in den Säulengang hineinblicken, dass das, was sie sehen, den obigen Zeilen genau entspricht? Eine spekulative, philosophische Frage – aber man könnte auch robust antworten: Na ja, im Grunde sieht da wohl jeder erst mal dasselbe. Also eins. Glücklicherweise muss das hier nicht entschieden werden. Uns interessiert vielmehr die Frage: Wie viele verschiedene Bilder entstehen, wenn zwanzig Menschen nach Pankow fahren und so in den Säulengang hineinfotografieren, dass das Foto den obigen Zeilen genau entspricht? Die Antwort wird den unbefangenen Gelegenheits-Handykamera-Schnappschützen möglicherweise überraschen. Und die Rede ist nicht mal von Fun-Filtern oder Sepia-, Polaroid- und Vintage-Einstellungen.

Wir wollen uns damit beschäftigen, welche unterschiedlichen Wirkungen „dasselbe“ Bild haben kann, wenn man bei einer Aufnahme das Zusammenspiel von Standortveränderung und unterschiedlichen Brennweiten nutzt.

Kurz zum technischen Aspekt und zur richtigen Redeweise: Nur solche Veränderungen an einem Bild, die sich durch eine Veränderung des Kamerastandortes ergeben, nennt man Änderungen der Perspektive. Andere – zum Teil erhebliche – Modifikationen, die beispielsweise durch die Verwendung unterschiedlicher Objektive bewirkt werden, wobei die Kamera aber am selben Ort bleibt, sind keine Veränderungen der Perspektive.
Wer für sein Foto eine andere Perspektive will, muss sich woanders hinstellen.



Fotos Kai Bagsik

Zu den vier sehr verschiedenen identischen Bildern kommt es so: Der Fotograf wählt eine niedrige Brennweite und positioniert sich mit seiner Kamera so, dass er das „DG!“ links vorne im Bild hat, an der dritten Säule rechts die Tasche, in der Mitte die Frau mit Herz, und macht sein Foto. Dann geht er mit der Kamera ein Stück zurück (ändert hierdurch die Perspektive) und vergrößert an seinem neuen Standort die Brennweite, bis er wieder vorne links das Designerkürzel hat, rechts an der dritten Säule die Tasche … – nächstes Foto. Und so fort. Bis am Schluss der Fotograf ganz weit weg von den Säulen und die Aphrodite trotzdem ganz dicht vor dem Betrachter des Bildes steht.

Beschreibe die Veränderung der Bildwirkung.

Überlege dir einen konkreten Fall, in dem man diese Technik zur Manipulation von Zeitungslesern nutzen könnte.

Überlege dir Möglichkeiten, sie bei der Gestaltung von Filmbildern zu nutzen. Welche Zwecke kann man verfolgen, welche Wirkungen erzielen?

Fallen dir Beispiele aus der Filmgeschichte ein?

Till Bender

„Und Spicker?“
Semiotik-Übung von Till Bender

Bis vor Kurzem war Spicker der glücklichste Mensch von Berlin. Er war zwanzig und hielt die Welt für eine, die nur darauf wartete, dass er sich einen schönen Platz in ihr einrichte. Mit seinem Bruder Ned und seiner Freundin Silly an seiner Seite freute er sich darauf, es mit allem aufzunehmen, was das Leben bringen möge. Seit zehn Jahren waren sie ein unzertrennliches Trio. Dann fielen einem übermüdeten Lkw-Fahrer am Steuer kurz die Augen zu, und Ned und Silly starben auf der Autobahn in Sillys zerquetschtem Kleinwagen auf dem Weg zum Baggersee. Spicker erreichte den Unfallort eine halbe Minute später. Durch eine Verkettung von Zufällen war er mit dem eigenen Auto gefahren.

Spicker war untröstlich. Da es sich bei „UND SPICKER?“ um eine „Fantasy-Mystery-Romantic Comedy“ handelt, ist dies der Punkt, an dem die Geschichte der drei beginnt: Bloß weil sie tot sind, sind Ned und Silly nämlich noch lange nicht bereit, den Kontakt zu Spicker abzubrechen. Schnell erkennen die beiden, dass sie aus ihrer derzeitigen „Zwischenwelt“ heraus zwar nicht direkt mit Spicker kommunizieren, ihm aber durchaus Zeichen schicken können. Allerdings Zeichen von begrenzter Eindeutigkeit.

Während Ned seinem Bruder gerne mitteilen möchte, dass der jetzt gefälligst ein rappelvolles Leben mit neuen Leuten bis zum allerletzten Atemzug auskosten soll, versucht Silly – mit nicht ganz reinem Gewissen – ihren Freund davon zu überzeugen, dass das Leben allein unter den Lebenden doch gar keinen rechten Sinn mehr habe und sein eigentlicher Platz „hier“ bei ihnen sei, – dann wäre alles wieder gut…

So bewegt sich der tieftraurige Spicker zwischen der fünfzehnten und achtzehnten Filmminute in einer geschlossenen, Collage-artigen Sequenz durch eine Stadt, die ihn an jeder Ecke durch irgendein Zeichen abwechselnd dazu auffordert, sich endlich wieder in den Sattel zu schwingen bzw. endlich seine irdische Existenz hinter sich zu lassen.

Action-Locationscouting

In ihrer Arbeitspraxis stehen Szenenbildner immer wieder plötzlich unter Zeit- und Erfolgsdruck.
Wir simulieren:

In einer Schlüsselszene des Drehbuchs „Wo sind denn hier die Fluchtwege?“ (Romantic Comedy) versucht der Protagonist, eine kleinkriminelle Reinigungskraft, seine Freundin, eine Architekturstudentin, mit großer Eindringlichkeit davon zu überzeugen, dass jetzt, genau jetzt, der richtige Moment für beide gekommen sei, aus ihren jeweiligen fremdbestimmten, erstickenden Lebenszusammenhängen auszubrechen.

Just als ihm und ihr und dem Publikum klar wird, dass sie keine derartigen unüberlegten biographischen Sprünge mit ihm zu unternehmen bereit ist, erscheint ihr rasend eifersüchtiger Ex-Freund, ein Polizist. Er stößt wüste Drohungen gegen beide aus, wird handgreiflich, das verliebte Paar flieht durch ein Fenster – und findet sich nun doch ganz unversehens im Freien wieder.

Suche auf dem Hochschulgelände eine passende Location für diese Szene.

Dokumentiere deine Wahl mit Fotos, Skizzen u.ä., und begründe sie argumentativ.

Was heißt hier: „Besorg mal Besteck“?  von Till Bender

– eine Szenenbild-Übung zur Erzählwucht von Requisiten –

Das Drehbuch „NEUN SIND EINE ZUVIEL“ (Romantic Comedy) erzählt davon, wie vier anfangs scheinbar stabile, funktionierende Beziehungen durch das Auftauchen einer „Neunten“ schwer aufgemischt und überraschend neu sortiert werden.

Die vier Pärchen werden über das Thema „Picknick“ eingeführt: Jedes Paar fährt am von der Stadt ausgerufenen Picknick-Sonntag raus und genießt eine Mahlzeit im Freien.

Charakterisiert werden sollen:

– ein deutsches Durchschnittspaar mit zwei Kindern
– ein Großindustriellen-Sohn mit seiner Verlobten (Fürstentochter)
– zwei verliebte Studenten (er: Gesinnungsrocker, sie: angehende Sozialpädagogin mit anthroposophischem Familienhintergrund)
– ein Paar deiner Wahl (Nicht verraten, wer oder was die beiden sind! Der aufmerksame Zuschauer respektive Dozent respektive Kommilitone soll sie durch deinen kräftigen Entwurf kennenlernen.)

Wie sehen die Picknicke bei dir aus?
Wähle für deinen Entwurf eine geeignete Präsentationsform.
Begründe für die Paare 1 bis 3 je drei Requisiten mit je einem Satz.

Konzentriere dich auf die Requisiten; Orte, Wetter, Tiere etc. sollen höchstens Randbemerkungen sein.