Komposition von selbst oder „Was soll ich denn jetzt hier sehen?“

Es gibt Bilder, die gelesen werden wollen – und zwar richtig. Andere Bilder wollten vor allem aus der Seele ihres Urhebers raus. Und wieder andere Bilder wollen sich unterhalten. Zu denen gehören die Bilder von Kai Peter-René Bagsik:

Mit dem ersten Strich werden sie geöffnet, die Signatur schließt sie, wenn es an der Zeit ist. Dazwischen reifen die Bilder in einem komplexen Akt der Kommunikation zwischen zahlreichen Beteiligten.
Der Künstler reagiert nicht nur auf die Forderungen, die das offene, wachsende Bild an ihn richtet – freilich ohne allen nachzukommen. Er öffnet sich auch allen anderen inneren und äußeren Inspirationen, die dann durch ihn in seine Arbeit einfließen.

Aber nicht nur er hinterlässt seine Spuren auf dem Papier. Wochen-, manchmal monatelang ist das Bild offen für die subtile, gemächliche Arbeit von Sonnenlicht, Luftfeuchtigkeit und Tabakdunst. Selbst wenn die Katze des Hauses sich mit einem nassen Pfotenabdruck auf dem Bild verewigt, bedeutet das keinen Makel: Solange das Bild offen ist, ist es offen.
Diese Dialoge lassen sich weder beschleunigen noch verzögern, sie vollziehen sich in der Gegenwart, die nicht unterschieden ist von der, in der der Betrachter sich das nunmehr geschlossene Bild vergegenwärtigt.
Es gibt kein den Fachleuten oder den Versenkungswilligen vorbehaltenes Rätsel zu knacken. Manche wählen einen steilen Pfad zum Kunstgenuss, über Wissen, Demut und Konzentration. Der ist auch hier eine Option, aber man kann sich auch ganz anders nähern.

Wer mag, kann viel entdecken: Arbeitsmaterialien von Aquarell-Farben bis Kaffee-Essenz, Zeichen-, Wisch-, Sprüh-, Mal- und Radiertechniken, und zwischen haarfeinen Linien und Sprühlackwolken, zwischen Gespinsten und Flächen, in Räumen und Nischen finden sich hier und dort Gesichter und Figuren, geometrische Formen, Zahlen, Zeichen.
All dies kann jeder sehen, der nur hinschaut. Mit all den Kontrasten, Ergänzungen und Spannungen kann sich jeder befassen, der nur hinschaut. Aber noch unendlich viel mehr erschließt, wer nicht nur Informationen aus den Bildern herauszieht, sondern auch etwas Eigenes in die Begegnung hineingibt, der – dem Wortsinne nach – sich selbst einlässt, mit Fragen, Assoziationen, persönlichen Deutungen, mit einer eigenen emotionalen Resonanz; der den Dialog fortführt, indem er die Bilder auf sein Leben bezieht und so einen kleinen Teil seines Lebens den Bildern zum Geschenk macht.

Till Bender